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Wenn große Tiere im Zoo krank werden, kann ihnen jetzt besser geholfen werden. Eine Wärmebildkamera verbessert die Diagnose. Die Wilhelma kooperiert dafür mit Forschern des Fraunhofer-Instituts.

StuttgartDass Kiburi lahmt, ist Tierpflegern in der Wilhelma im vergangenen Jahr aufgefallen. Doch wie kann man eine vier Meter große Netzgiraffe ohne Gefahr für Leib und Leben untersuchen? „Eine Giraffe lässt sich ohne Narkose nicht die Klaue anfassen oder näher untersuchen“, sagt Marco Roller, einer der beiden Wilhelma-Tierärzte. Also: klarer Fall für Sascha Getto. Der Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) und sein Team erarbeiten gemeinsam mit der Wilhelma ein sogenanntes thermographisches Diagnose-Assistenzsystem. Konkret bedeutet das: Auf Anruf von der Wilhelma kommt Getto mit einer Wärmebildkamera, um etwa einen Entzündungsherd genauer zu lokalisieren.

„Die Voraussetzung ist immer, dass Wärme verursacht wird“, sagt Getto. Auch bei Kiburi ging Getto der Sache auf den Grund. Die Wilhelma-Tierpfleger lockten die Giraffenkuh mit leckeren Pellets so nah wie möglich an den Zaun, wo Getto mit der Wärmebildkamera bereitstand. Die Liveübertragung auf einen Laptop bestätigte den Verdacht: Kiburi hatte eine Klauenentzündung. „Man konnte darstellen, dass die eine Klaue vorne rechts deutlich wärmer war als die anderen“, berichtet Roller. Mit dieser genauen Diagnose habe man das Tier daraufhin betäuben und ihm gezielt die betroffene Klaue zurechtschneiden können. Dass Kiburi vor wenigen Wochen im Alter von 15 Jahren gestorben ist, lag allerdings an einem Tumor. Den habe man vorher nicht diagnostiziert, räumt Roller ein. Auch bei der knapp 53 Jahre alten Elefantenkuh Pama vermuteten die Wilhelma-Leute einen Abszess im Nagel. Dank Wärmebildkamera ließ sich die Entzündung exakt lokalisieren – und exakt behandeln.

Doch manchmal hilft das Diagnoseinstrument auch, Erkrankungen auszuschließen. Zum Beispiel beim Brillenbären Ambrose. „Der hatte eine Umfangsvermehrung am linken Oberkiefer – das kann immer auf ein Zahnproblem hindeuten“, erklärt Roller. Aber die Aufnahme mit der Wärmebildkamera zeigte, dass der Oberkiefer nur minimal wärmer war als üblich. „Wir konnten feststellen, dass das nicht von den Zähnen ausging, sondern nur so eine Art Pickel war“, sagt Roller. Also Salbe und Entzündungshemmer drauf – fertig. Die Entzündung sei daraufhin abgeklungen.

„Alles in allem kann man sagen, das ist eine tolle diagnostische Möglichkeit, um bei Tieren, an die wir nicht so rankommen, herauszufinden, ob ein Entzündungsprozess vorliegt“, findet Roller. Schließlich erspare das oft eine Narkose. Auch bei Zebras, Okapis und einem Panzernashorn kam die Wärmebildkamera schon zum Einsatz. Doch Getto – der mit seinem Team auch am Fraunhofer-Institut mit der Wärmebildtechnik arbeitet, allerdings im industriellen Bereich – hat in Sachen Wilhelma noch ganz andere Pläne.

Trächtigkeit von Hirschebersauen

Angefangen hatte der Kontakt zu dem zoologischen Garten schon vor einiger Zeit. „Ich hab die Wilhelma mal gefragt, ob wir das mal ausprobieren wollen – im Rahmen einer Bachelorarbeit“, berichtet Getto. Dabei sei es auch darum gegangen, ob man mit dieser Methode die Trächtigkeit von Hirschebersauen feststellen konnte. Man konnte. „Dann habe ich das immer weiter ausgeweitet“, so Getto. Nun sei man dabei, eine Datenbank mit Wärmebildern zu erstellen – nicht nur von kranken, sondern auch von gesunden Tieren, und nicht nur mit Ganzkörperaufnahmen, sondern auch mit Einzelaufnahmen einzelner Gliedmaßen. Eine Studentin habe zudem eine Box gebaut, in der weitere Umweltdaten gespeichert würden, etwa Stalltemperatur oder Bewegungsprofil.

Auch andere Zoos setzten diese Technik inzwischen ein, etwa in Leipzig. Ziel der Zukunft sei es, diese Datenbanken in einer Cloud zusammenzuführen, „damit so etwas wie ein medizinisches Online-Buch entsteht und die Experten sich darüber austauschen können“, sagt Getto. Aber so weit sei man noch nicht. „Wir müssen das erst noch standardisieren.“ Und weitere Daten sammeln. „Irgendwann ist die Datenbank groß genug, um sie von einer Künstlichen Intelligenz auswerten zu lassen“, meint Getto. Die Diagnose wäre aber weiterhin Sache des Tierarztes.

Bei manchen Tieren funktioniert die Technik allerdings nicht. „Bären haben über weite Strecken ein so dichtes Fell, dass wir die Körpertemperatur an der Haut nicht ermitteln können“, berichtet Getto. Und nicht nur hier stößt man an Grenzen. „Sträuße oder Flamingos haben so dünne Beine, dass wir sie aus der Ferne nicht aufnehmen können – kommen wir ihnen aber zu nah, flüchten sie.“