Wiederholungstäter: Facebook und Twitter Foto: dpa - dpa

Facebook und Twitter erfüllen EU-Regeln nicht – Experte aus Hohenheim weist auf Komplexität der Netzwerke hin

StuttgartDer Krake ist ein gerne bemühtes Bild, um den enormen Einfluss eines Konzerns auf alle Ebenen einer Gesellschaft darzustellen und ein Gefühl des Unbehagens zu verbreiten. Eine der bekanntesten Kraken-Karikaturen stammt von 1904 aus den USA und zeigt, wie sich die langen Tentakel der Standard Oil Company um Schiffsindustrie und Kapitol schlingen – und auch nach dem Weißen Haus greifen.

Das moderne Äquivalent sind Facebook, Twitter und Google, die Datenkraken unserer Zeit. Ähnlich bedrohlich dürfte die Phalanx aus dem Silicon Valley auf Aktivisten, Verbraucherschützer und Nutzer wirken, nämlich bei der Vorstellung, wie viele Daten sie aufsaugen und weitergeben. Immer wieder steht gerade der Konzern von Mark Zuckerberg deshalb in der öffentlichen Kritik. Nun rügt die EU-Kommission Facebook – und auch Twitter. Der Vorwurf: Die sozialen Netzwerke erfüllen die EU-Regeln zum Schutz ihrer Nutzer nur unzureichend. Das geht aus einem Papier hervor, das gestern in Brüssel veröffentlicht wurde. Twitter ändere demnach seine allgemeinen Geschäftsbedingungen nach wie vor, ohne die Nutzer darüber zu informieren. Beide Plattformen würden zudem von Nutzern hochgeladene Inhalte löschen, ohne diese darüber zu informieren.

Erst im vergangenen Jahr belegte die EU-Kommission Facebook mit einer 110-Millionen-Euro-Strafe, weil der Konzern bei der Übernahme von WhatsApp falsche Angaben über den Umgang mit Nutzerdaten gemacht hatte. Vor wenigen Tagen erst entschied das Landgericht Berlin, dass Facebook mit seinen Voreinstellungen sowie Teilen der Nutzungs- und Datenschutzbedingungen gegen das Verbraucherrecht in Deutschland verstößt.

„Für uns muss im Bereich Datenschutz noch viel getan werden. Die Konzerne bieten ihre Produkte an und machen irgendetwas, ohne sich Gedanken um bestehende Gesetze zu machen“, kritisiert Oliver Buttler, Abteilungsleiter Telekommunikation, Internet und Verbraucherrecht bei der Verbraucherzentrale in Stuttgart. Warum Facebook und Co. immer wieder diese Grenzen überschreiten, sei ein vielschichtiges Problem: „Ältere Politiker haben vielleicht ein bisschen den Anschluss verloren. Sie besitzen zwar alle einen Twitter-Account, aber haben oft keine Ahnung, was mit den Daten eigentlich passiert.“ Viele Länder würden sich außerdem davor scheuen, die Firmen wegen ihrer Marktmacht anzugreifen. Sie schafften schließlich Arbeitsplätze und zahlten Steuern – zumindest zu einem gewissen Teil. Neben der Politik sind Buttler zufolge aber auch die Verbraucher gefordert. „Die Optimalversion wäre natürlich, dass man bestimmte Anbieter nicht mehr nutzt.“ Sich den sozialen Medien komplett zu entziehen, sei aber unrealistisch. Buttler empfiehlt Verbrauchern, sich prinzipiell Gedanken darüber zu machen, welchen Messengerdienst sie verwenden. „Warum sollte ich eine Nachricht über WhatsApp schreiben, wenn es eine SMS auch tut?“ Nutzer könnten beispielsweise vergleichen, welche Anbieter was mit ihren Daten machen. Der Missstände zum Trotz: Innerhalb der Europäischen Union verzeichnet Facebook mittlerweile zwar sinkende Nutzerzahlen, dennoch hat der Konzern weltweit immer noch 2,1 Milliarden aktive User.

Der eigentlich zu erwartende Sturm der Entrüstung über die Datenschutz-Skandale ist bislang aber meist nur ein laues Lüftchen. Das liege, sagt Wolfgang Schweiger, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim, auch an der Komplexität der Netzwerke: „Es ist vielen Leuten egal, ob sie ihre Nutzungsrechte an Facebook abtreten, weil das ganze Thema mittlerweile einfach zu komplex geworden ist. Keiner versteht mehr, wie dieses Netzwerk, der ganze Algorithmus, eigentlich funktioniert.“ Kaum ein Nutzer habe jemals die allgemeinen Geschäftsbedingungen gelesen. Schweiger unterscheidet dabei zwischen zwei Gruppen. Auf der einen Seite gebe es eine Art Netzelite, die das Löschen ihrer Kommentare sehr wohl wahrnehme und öffentlich kritisiere – etwa Politiker, Aktivisten und Journalisten. Das zeigt sich im Brüsseler Papier, dass genau diesen Umgang anprangert.

Schweiger sagt weiter, der Elite stehe eine breite Netznutzerschaft gegenüber, der das Thema Datenschutz oder das Löschen ihrer Kommentare egal sei. Schweiger sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: Manche AGBs seien seit Jahren derart aufgeblasen, dass da kein Mensch mehr durchblicke. Substanzielle Änderungen der allgemeinen Geschäftsbedingungen sollten deutlich und unmissverständlich angezeigt werden müssen. „Das könnte man sehr wohl ändern“, sagt Schweiger.

Das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz wertet der Experte als Indiz dafür, dass sich allmählich auf politischer Ebene ein Problembewusstsein entwickle. „Ich finde das Gesetz nicht so verdammenswert, wie es oft diskutiert wird. Der Ansatz, Plattformbetreiber in die Pflicht zu nehmen, um auf Rechtsverstöße schneller zu reagieren, ist richtig.“ Schweiger gibt aber zu bedenken: „Die schiere Menge an Rechtsverstößen könnte von staatlicher Seite niemals kontrolliert werden. Problematisch ist: Die Netzwerkanbieter sind verpflichtet, in eindeutigen Fällen die Beiträge nach einem Tag, in schwierigeren Fällen innerhalb einer Woche von ihrer Plattform zu nehmen.“ Die Folge sei, dass es kaum nachzuvollziehen ist, welche Inhalte ohne Begründung sofort gelöscht würden. Dennoch sieht der Wissenschaftler nicht schwarz: „Langfristig bleibt etwas in den Köpfen der Nutzer hängen. Vor zwei Jahren standen Konzerne wie Facebook positiv da. Jetzt sind deutliche Risse im Bild entstanden. Es gibt mehr öffentliche Klagen über das Fehlverhalten der sozialen Netzwerke.“

Auf einen Aufruf unserer Zeitung in Facebook, was die Nutzer davon halten, dass AGBs geändert und Inhalte einfach gelöscht würden, antworteten nur zwei Menschen. Auch ein Indiz dafür, dass sich ganz normale User wenig Gedanken um die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Tech-Konzern aus Kalifornien machen. Eine Nutzerin „stört das schon“, eine andere allerdings wunderte sich, ob die Frage ernst gemeint sei.