August 2007: Beamte bergen aus dem Neckar bei Plochingen die Blumenkübel, in denen Teile der Leiche einbetoniert worden sind. Archiv Foto: Rosar Quelle: Unbekannt

„Es war alles so surreal. Wie in einem Film. Wir konnten die Nachricht nicht glauben.“„In den Verhören schlug dem Vernehmungsteam Eiseskälte entgegen.“

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Es ist ein schwarzer Aufkleber an seinem Spiegel, der ihn immer wieder daran erinnert, was vor zehn Jahren geschah. „Gewalt hilft niemals weiter“, steht mit weißen Buchstaben darauf. Seit knapp einem Jahrzehnt klebt der Sticker dort. Er sei ein Freund von Yvan Schneider gewesen, sagt der 28-jährige Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Nicht einer seiner engsten Kumpels, nein, das nicht. Aber man kannte sich gut, ging auf dieselbe Schule - das Wagenburggymnasium im Stuttgarter Osten -, war auf dem Geburtstag des anderen. In jenen Tagen im August, sagt er, hätte sich die Gruppe treffen wollen. Es war Ferienzeit und so hoffte man, dass der eine oder andere zuhause „sturmfrei“ hätte. Auch bei Yvan Schneider wurde nachgefragt. Dort ging allerdings niemand ans Telefon.

Irgendwann meldete sich die Schwester bei den Freunden und sagte, ihr Bruder sei verschwunden. „Als die Meldung von einem Toten in den Nachrichten kam, brachten wir das nicht mit Yvan in Verbindung.“ Selbst als eindeutig feststand, dass es sich bei dem Opfer um den 19-jährigen Gymnasiasten handelt, hätte man es nicht glauben können. „Es war alles so surreal, wie in einem Film.“ Es kommt vor, dass der 28-Jährige heute Bekannten von all dem erzählt, was sich in jenen Augusttagen abgespielt hat - als die Brutalität des Mordes und die Kaltblütigkeit der Täter die Menschen nicht nur in Stuttgart und Umgebung entsetzten. „Es rückt mit der Zeit immer mehr in die Ferne, vergessen kann man es aber nicht.“ Da sei der Mensch und Freund, an den man sich erinnere, aber auch die grausame Art, wie dieser starb.

Der 21. August 2007 ist ein warmer Sommerabend. Einer von jenen, an denen man nicht zuhause sitzen will. Die damals 16-jährige Freundin des zwei Jahre älteren Haupttäters ruft Yvan Schneider aus einer Telefonzelle an. Man kennt sich aus der Nachbarschaft. Aber eher flüchtig. Auf einer Obstwiese nahe Rommelshausen, wo der Schüler mit seinen Eltern und Geschwistern lebt, könne man sich treffen, um über einen gemeinsamen Bekannten zu sprechen. Dort warten der 18-Jährige und sein gleichaltriger Freund, dort wird Yvan Schneider wenig später sterben. Sechs bis sieben Platzwunden am Schädel zählt der medizinische Gutachter - gezielt beigebracht mit einem Baseball-Schläger. Die 16-Jährige, der vor Gericht später ein niedriger Intelligenzquotient bescheinigt wird, beobachtet das Geschehen offenbar aus der Distanz, greift aber nicht ein. Später stellt sich heraus, dass sie ihren krankhaft eifersüchtigen Freund zu der Tat mitangestiftet hat, in dem sie behauptete, mit Yvan eine intime Beziehung gehabt zu haben.

Nach dem Mord sind die jungen Täter tagelang damit beschäftigt, den Leichnam zu beseitigen. Unterstützung finden sie bei einem damals arbeitslosen 23-Jährigen, der vor Gericht aussagen wird, der Hauptangeklagte sei für ihn „wie ein kleiner Bruder“. Und er sagt Sätze wie: „Die Leiche war da. Und sie musste weg.“ Die Täter zerstückeln den Körper, betonieren Teile in Blumenkübel ein und versenken diese im Neckar. Auch der Vater des Hauptangeklagten wird eingeweiht. Den Rumpf schaffen sie in ein Waldstück bei Großbottwar, ohne Axt, Kübel und Zementreste in der Wohnung wegzuräumen.

Am 27. August 2007 beschweren sich im Stuttgarter Osten Anwohner über den Verwesungsgeruch, der aus einem Haus im Stadtteil Gablenberg dringt. Um 15.45 Uhr klingelt bei Steffen Gottmann das Telefon. Eine Viertelstunde, dann ist Dienstschluss und der Kriminalbeamte kann seinen Urlaub antreten. Daraus wird allerdings nichts. In einer Wohnung in der Gaishämmerstraße sei ein Tatort entdeckt worden, an dem eine Leiche gelegen haben muss, wird ihm mitgeteilt. Übler Gestank schlägt den Mitarbeitern der Spurensicherung beim Betreten der Räume entgegen. Später am Abend nehmen die Ermittler die 23-jährige Wohnungsinhaberin fest, die angibt, mehrere Tage im Park gecampt und ihre Räumlichkeiten „zwei Fremden“ zur Verfügung gestellt zu haben.

Es ist bereits gegen Mitternacht, als die Frau von ihrer Aussage abrückt und den Ermittlern der 30-köpfigen Soko „Zement“ die entscheidenden Hinweise gibt. Die drei Täter und ihr Helfer werden festgenommen, die einbetonierten Leichenteile von der Wasserschutzpolizei aus dem Neckar geborgen beziehungsweise in einem Waldstück bei Großbottwar gefunden. Yvan Schneider ist zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Tage als vermisst gemeldet. „In den Verhören schlug unserem Vernehmungsteam Eiseskälte und völlige Emotionslosigkeit entgegen“, erinnert sich Gottmann, der damals die Ermittlungen leitet. Der außergewöhnlich grausame Fall, der in kurzer Zeit aufgeklärt werden kann, wühlt auch unter den Beamten viele auf. Es herrscht Fassungslosigkeit - selbst bei denen, die schon viel Entsetzliches in ihrem Berufsalltag gesehen haben. Aber dieser Fall hat eine andere Dimension, dieses Mal fällt es schwerer als sonst, die professionelle Distanz zu wahren. In den Tagen danach sei es auf dem Polizeipräsidium deutlich stiller gewesen. „Da waren die jungen Täter und dieser brutale Akt, aber auch ihr abgebrühtes Vorgehen nach der Tat.“

Harald Faulhaber denkt oft an Yvan Schneider. „Es kommt immer wieder hoch, es ist immer wieder präsent, - einfach, weil es so massiv war“, sagt er. Wenn der Handball-Abteilungsleiter des TV Stetten die Halle betritt, läuft er an einem Schaukasten vorbei. Yvans Trikot mit der Rückennummer 10 hängt darin, aber auch Fotos und andere Erinnerungsstücke haben einen dauerhaften Platz gefunden. Beim TV Stetten hatte der Gymnasiast mit französischen Wurzeln zuletzt seine sportliche Heimat. Als Spieler und als Trainer der Mädchenmannschaft. Um an ihren Sportsfreund zu erinnern, ruft man eine Initiative ins Leben, die sich mit verschiedenen Aktionen gegen Verrohung und daraus resultierender Jugendgewalt engagiert. Mehr als 20 000 Unterschriften werden gesammelt, mit denen eine mögliche Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bei Tätern von 18 bis 25 Jahren gefordert wird - ohne Erfolg. Auch ein jährliches Gedächtnisturnier wird auf die Beine gestellt. „Wir wollten etwas Bleibendes schaffen, damit der Name und die Tat nicht vergessen werden.“ Auch Yvans Eltern sind bei den Spielen am Dreikönigstag oft zugegen. Lange wird in schwarzen Trikots gespielt, vor zwei Jahren die dunkle Farbe durch Königsblau ersetzt. Es ist ein symbolischer Akt. „Wir wollten in die Zukunft sehen, damit die Düsternis der Tat nicht mehr im Vordergrund steht. Wir wollten zeigen, dass man etwas Positives weitergeben kann“, sagt der Abteilungsleiter und verweist auf den nach der Tat gewachsenen Zusammenhalt. Auch ein Gedenkmarsch ist initiiert worden. Jedes Jahr am Todestag besuchen bis zu 30 Freunde, Mitschüler und Weggefährten den Gedenkstein, der am Tatort aufgestellt worden ist. Am Montag wird man sich dort wieder treffen und an Yvan erinnern. Auch hier hat sich etwas verändert: Statt schwarzer werden blaue Luftballons zum Himmel aufsteigen.