Quelle: Unbekannt

Von Tim Seitter

Stuttgart - Die Universität Stuttgart hat sich gestern im Rahmen einer Gedenkveranstaltung zu ihrer Urheberschaft und Mittäterschaft im NS-Regime bekannt und sich bei den Opfern entschuldigt. In Anwesenheit der Angehörigen einiger Geschädigter und mehr als 300 weiteren Gästen sagte der Rektor der Universität Stuttgart, Wolfram Ressel: „Im Namen der Universität Stuttgart bitte ich alle Angehörigen der Verfolgten um Entschuldigung für das Unrecht, das sie erleiden mussten.“

Anlass für die Gedenkveranstaltung war das dreijährige Forschungsprojekt „Verfolgung und Unrecht an der Technischen Hochschule Stuttgart in der NS-Zeit“. Ziel der 2013 gestarteten Studie war es, alle Mitglieder der Technischen Hochschule zu ermitteln, die während der NS-Zeit durch die Hochschule selbst geschädigt wurden. Dazu zählten unter anderem Entlassung, Exmatrikulation, Zwangsarbeit oder Diskriminierung. „Die Universität Stuttgart ist die erste, die alle Arten von Missetaten zusammen erforscht hat“, sagt der Leiter des Projekts, Norbert Becker.

Begonnen hat die Aufarbeitung bereits im Jahr 1981, durch den Geschichtsprofessor Johannes Voigt, der sich während seiner Recherchen zur Geschichte der Universität Stuttgart auch mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzte. 1995 folgten erste Interviews mit Zeitzeugen. Die jüngste Studie wurde vom Rektorat der Universität in Auftrag gegeben und mit 80 000 Euro finanziert.

Insgesamt 440 Personen konnten ermittelt werden, die in der NS-Zeit durch die Hochschule geschädigt wurden. 301 Personen sind namentlich bekannt. Becker geht allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus: „Unser Archiv wurde während des Krieges fast vollständig zerstört. Wir konnten daher bei weitem nicht alle Geschädigten ermitteln.“ Als Quellen für das Projekt dienten daher andere Universitäts- und Staatsarchive sowie Interviews mit Zeitzeugen. „Die Gespräche waren ganz entscheidend, da sie uns genaue Einblicke in die Zeit verschafft haben. Diese Informationen stehen in keinem Archiv“, sagt der Leiter des Forschungsprojekts.

Auch Paul Bonatz geschädigt

Die Art des Unrechts war vielseitig. So stellte sich heraus, dass Professoren und Assistenten entlassen wurden, weil sie Juden waren oder sich während der Weimarer Republik in demokratischen Parteien engagierten. Studierende wurden von ihren Kommilitonen wegen ihrer kommunistischen Einstellung vertrieben oder seitens der Universität exmatrikuliert. Auch psychische Erkrankungen, Homosexualität oder Konflikte mit dem NS-Staat waren Gründe für einen Hochschulverweis. Außerdem wurden während des Krieges 292 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus den von Deutschen besetzten Gebieten beschäftigt. Einige hatten Kleidungsnot und litten Hunger. „Die Recherche brachte viele schlimme Dinge zum Vorschein, die mich persönlich deprimiert und erschüttert haben“, berichtet Becker. Zu den Geschädigten gehörten auch berühmte Persönlichkeiten wie Paul Bonatz oder Eugen Bolz. Bonatz wurde mehrfach denunziert, und dem ehemaligen württembergischen Staatsminister Bolz wurde die Ehrenbürgerwürde durch die Universität entzogen. Außerdem wurde ihm verboten, als Gasthörer an Vorlesungen teilzuhaben.

Als Ergebnis der Forschung machte Norbert Becker in seinem Vortrag deutlich, dass Verfolgungen in den meisten Fällen von der Hochschule selbst ausgingen. So konnten Rektoren, Studierende, Verwaltungsangestellte und führende Dozenten als Täter ermittelt werden. Einigen wurde im Zuge der Entnazifizierung in Spruchkammerverfahren der Prozess gemacht. „Die Täter, sofern nach Kriegsende noch am Leben, wurden mit einer Geldstrafe und Berufsverbot bestraft“, weiß Becker.

Die Dokumentation wird von der Universität Stuttgart als Buch veröffentlicht und kommt im Lauf des Jahres in den Handel. Ein Vordruck wurde während der Gedenkveranstaltung den aus Deutschland und Europa angereisten Angehörigen übergeben. Es zeichnet das Schicksal jedes namentlich bekannten Geschädigten der Hochschule nach. Auch wird geschildert, welche Auswirkungen das an der TH Stuttgart erlittene Unrecht auf den weiteren Lebensweg hatte.