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Raus aufs Land – oder in die ewigen Jagdgründe. Diese Schicksalsfrage stellt sich für 5000 Eidechsen. Weil die Bahn keine Ausweichfläche findet, müssen die Naturschutzbehörden entscheiden.

StuttgartDie warme Frühlingssonne strahlt auf die Steinhaufen, die seit 2017 Teile der Feuerbacher Heide bedecken. Wer ein bisschen Geduld mitbringt, erblickt womöglich ein kleines Köpfchen zwischen dem Geröll. Auf dem Killesberg ist inzwischen etwas Gras über die grau-braunen Hügel gewachsen, und die große Aufregung, die dort geherrscht hat, hat sich gelegt. Bahn, Stadt und Regierungspräsidium haben direkt neben dem Landschaftsschutzgebiet eine Ersatzfläche für Eidechsen aus dem Neckartal geschaffen. Mehrere Hundert der streng geschützten Tiere sind nach und nach dorthin umgesiedelt worden. Mit ersten Zählungen, so heißt es, seien die Experten zufrieden: Die meisten der Reptilien haben den Winter gut überstanden. Doch die Kapazitäten auf dem Killesberg sind endlich. Und da beginnt ein großes Problem für die Projektpartner bei Stuttgart 21: Nach wie vor ist ungeklärt, wohin 5000 bis 6000 Tiere aus dem Bereich des künftigen Abstellbahnhofs in Untertürkheim umgesiedelt werden sollen. Weil die Stuttgarter Mauereidechse eine spezielle genetische Mischung darstellt, muss sie innerhalb der sogenannten Gebietskulisse Stuttgart bleiben. Die umfasst den größten Teil des Stadtgebiets und ein paar kleine Erweiterungen zum Beispiel Richtung Esslingen.

Die Bahn hat nach eigenen Angaben über 200 mögliche Flächen überprüft, die aber alle verworfen werden mussten. Zwar sucht man weiter, doch intern gilt als sicher: Für so viele Tiere ist es unmöglich, geeignete Areale zu finden. „Wir werden weitere Umsiedlungen auch auf bahneigenes Gelände vornehmen. Für die Umsiedlung aller Tiere innerhalb der Gebietskulisse sehen wir nach intensiver Flächensuche derzeit jedoch keine Perspektive“, sagt Projektsprecher Jörg Hamann.

Auch aus diesem Grund gibt es für den Abstellbahnhof in Untertürkheim nach wie vor, 14 Jahre nach dem ersten Planungsentwurf von 2004, noch keine Baugenehmigung. Zwar hat die Bahn im April 2017 Unterlagen eingereicht, doch die müssen erneut überarbeitet werden. „Das Planfeststellungsverfahren in diesem Abschnitt ruht zurzeit auf Wunsch der Bahn“, sagt ein Sprecher des Eisenbahn-Bundesamts (Eba), der zuständigen Genehmigungsbehörde. Doch inzwischen drängt die Zeit. Die Bahn will das Genehmigungsverfahren im Spätsommer auf den Weg bringen, um nicht weiter in Verzug zu geraten. Bleibt die Frage: Was passiert mit den 5000 streng geschützten Tieren? Das Bundesnaturschutzgesetz lässt ein Schlupfloch. Es sind Ausnahmen möglich. Dann, wenn „Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ vorliegen, alle denkbaren Schutzmaßnahmen ausgeschöpft sind und „der Erhaltungszustand der Population sich nicht verschlechtert“. Sprich: Wenn die Zahl der Stuttgarter Mauereidechsen so groß ist, dass auf 5000 verzichtet werden kann, darf der Schutz entfallen. Dann können sie entweder außerhalb von Stadt und Region untergebracht werden – oder sie bleiben im Baufeld. Für die meisten dürfte das ihr sicheres Ende bedeuten.

Beide Lösungen können den Naturschutzbehörden nicht gefallen. Und doch sind sie am Zug. Wenn die Bahn eine solche Ausnahme beim Eba beantragt, müssen die Behörden im Land eine Stellungnahme dazu abgeben. Davon hängt ab, was passiert. Zuständig ist das Regierungspräsidium Stuttgart. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass bei einer solchen Entscheidung das Umweltministerium einbezogen wird. Signalisieren die Behörden, dass es eine Ausnahme geben könnte, gilt als sicher, dass die Eidechsen dann umziehen – oder ihr letztes Stündlein geschlagen hat.

Den Tieren in den grau-braunen Steinhaufen auf dem Killesberg droht dieses Schicksal nicht. Sie bleiben in ihrer Stuttgarter Heimat. Tausenden anderen dürfte diese Zukunft verwehrt bleiben.