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913 Kandidaten, 20 Listen - allein in Stuttgart. Die Kommunalwahl ist nicht unkompliziert. Der «Komunat» soll jungen Wählern im Demokratiedschungel mehr Orientierung geben.

Stuttgart (dpa/lsw)Eine neue Wahlhilfe-App soll junge Stuttgarter bei der Kommunalwahl Ende Mai an die Urnen locken. Der Verein «Unsere Zukunft» stellte am Freitag die neue Webanwendung namens «Komunat» vor, auf die Wähler ab sofort zugreifen können. «Unser Ziel ist es, junge Menschen für Politik zu begeistern», sagte der Vereinsvorsitzende Steffen Schuldis. Besonders niedrig sei die Wahlbeteiligung in der Zielgruppe der 16- bis 35-Jährigen.

Der 26. Mai ist Großwahltag in Deutschland. Neben dem Europaparlament können in zehn Bundesländern die Bürger auch ihre Kommunalparlamente wählen. Kommunalwahlen sind immer auch Persönlichkeitswahlen. Das Angebot an Kandidaten ist riesig. Allein in Stuttgart bewerben sich 913 Kandidaten auf 20 Listen für den Gemeinderat. Die Wähler dürfen kumulieren, sprich: einem Kandidaten bis zu drei Stimmen geben und damit die Reihenfolge auf der Liste der Partei verändern. Auch dürfen sie panaschieren: ihre Stimmen auf verschiedene Listen verteilen.

Besonders junge Wähler schreckten vor der Komplexität der Kommunalwahlen zurück, sagte Schuldis. Mit der App sollen Nutzer schnell Kandidaten finden, die ihrem Profil und ihren Interessen am ehesten entsprechen. Rund 430 Stuttgarter Kandidaten hätten bereits ein Profil beantragt.

Ist Rechtsstaatlichkeit wichtiger oder Toleranz? Ist es wichtiger, eine klimaneutrale Stadt zu gestalten oder Schulen zu sanieren? Dutzende Fragen zu politischen Werten und Themen muss der Nutzer beantworten. Daraus erstellt die App ein Ranking und gleicht die Interessen des Wählers mit denen der Kandidaten ab. Dann werden dem Nutzer die 20 passendsten Kandidaten vorgeschlagen. Der Nutzer kann das Ergebnis als PDF-Datei herunterladen und mit in die Wahlkabine nehmen.

Werte und Themen habe man in Abstimmung mit den Parteien ausgewählt, die im Stuttgarter Gemeinderat vertreten sind, sagte Schuldis. Die Wahlhilfe ziele ab auf die, die wählen wollen, aber eine Hürde sehen, sich mit dem Prozess auseinanderzusetzen, sagte Schuldis. Die stellvertretende Vorsitzende des Vereins, Tomma Profke, sagte, viele wüssten gar nicht, dass sie wählen dürfen. «Wenn sie nur lernen, dass es eine Wahl gibt, wäre das schon ein Anfang.»

Der 32-jährige Schuldis arbeitet bei Daimler und hat bereits parteilos für den Bundestag kandidiert. Gemeinsam mit Profke (35) organisiert er seit längerem politische Veranstaltungen in Stuttgart, um Demokratie zu fördern.

Die Landeszentrale für politische Bildung ist Kooperationspartner des «Komunat»-Projekts. Fachreferent Vatan Ukaj von der Stabsstelle Erstwählerkampagne begrüßt die Initiative. Im Gegensatz zum Wahlomat der Bundeszentrale für politische Bildung stünde hier die Personenwahl im Vordergrund, sagte er. Die App könne aber nur eine Heranführung sein, um sich mit den Kandidaten zu beschäftigen.

Der Verein organisiert deshalb vor der Europa- und Kommunalwahl am 26. Mai noch 30 Veranstaltungen im «Offline-Raum». «Dort können die Wähler den Kandidaten auf den Zahn fühlen, ob das alles so stimmt, was sie im Komunat angegeben haben», sagte Profke. Die Organisatoren sagten, sie wollten mit den Ergebnissen der App transparent umgehen. «Es ist ein Experiment, hat sicher noch Schwächen», sagte Schuldis.

Gabriele Nuber-Schöllhammer, die sich für die Grünen um einen Platz im Gemeinderat bewirbt, unterstützt das Projekt. Sie habe selbst drei Kinder. «Ich finde es wichtig, die jungen Leute zu erreichen», sagte die 57-Jährige. Die Entscheidungen zwischen den Werten seien ihr bei der Erstellung ihres Profils aber schwer gefallen. «Toleranz wegzuklicken - das tat mir richtig weh.» Eine ähnliche App könnte sie sich für die Landtagswahl vorstellen, um mehr von den Kandidaten zu zeigen.

Auch die Uni Freiburg stellte am Freitag ein Wahltool vor - den «VoteSwiper», der eine Wahlhilfe zur Europawahl sein soll. 35 Fragen von der Abschaffung des Euro bis zum Verbot von Glyphosat können beantwortet werden, um zu sehen, welche Parteien einem am nächsten stehen.