Feinstaub Stuttgart Foto: Symbolbild: dpa - Symbolbild: dpa

Der Stuttgarter Pneumologe Martin Hetzel fordert eine Aussetzung der Fahrverbote, bis valide Studien zur Wirkung der Schadstoffe vorliegen.

StuttgartMartin Hetzel hat seine Unterschrift unter die kritische Stellungnahme deutscher Lungenärzte gegen die geltenden Abgasgrenzwerte gesetzt. Im Interview erklärt der Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Internistische Intensivmedizin, Beatmungsmedizin und Allgemeine Innere Medizin am Krankenhaus vom Roten Kreuz in Stuttgart-Bad Cannstatt, warum.

Welches Interesse haben Sie als Ärzte, bei diesem Thema einzugreifen?
Ich rede hier zunächst als deutscher Staatsbürger, dann als ärztlicher Kollege und dann als Lungenfacharzt. Und es ist eines jeden Staatsbürgers Pflicht, Unsinn mit gesundem Menschenverstand entgegenzutreten.

Sie und Ihre Kollegen kritisieren ja, auf welcher Basis die Abgasgrenzwerte festgelegt wurden...
Wir kritisieren die Methodik, mit der epidemiologische Untersuchungsergebnisse dargestellt werden. Vereinfacht dargestellt haben diese Studien einen Zusammenhang gesehen zwischen einer geringfügig kürzeren Lebenserwartung und höheren Feinstaub- und Stickoxid-Konzentrationen in Hauptverkehrsstraßennähe als auf dem Land. Das ist zulässig und dient der Hypothesenbildung. Der Zusammenhang kann rein zufällig entstanden sein oder ursächlich sein. Aber die Interpretation dieser epidemiologischen Studien dahingehend, dass Feinstaubkonzentrationsunterschiede zwischen Land und Stadt ursächlich zur Lebensverkürzung führen, das ist unzulässig. Man kann keinen einzigen Todesfall ursächlich auf die Einwirkung von Feinstaub und Stickoxide zurückführen. Aber genau das hat das Umweltbundesamt, eine Institution des Bundesumweltministeriums, getan. Richtig wäre es gewesen zu schreiben, die Lebenserwartung in den weniger feinstaubbelasteten Gebieten Deutschlands ist um 3,6 Tage im Mittel länger, als hauptverkehrsstraßennah. Und ob das in ursächlichem Zusammenhang steht, das ist völlig unklar. Es wurde daraus aber vor zwei Jahren die Überschrift gemacht: 47 000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub. Das ist dann Populismus. Man hat zunächst von Korrelation auf Kausalität geschlossen, das ist methodologisch falsch. Daraus dann aber auch noch vorzeitige Todesfälle mit nicht zulässigen mathematischen Formeln zu berechnen, das ist Populismus an der Grenze zur Demagogie.

Was müsste nun getan werden, um einen Zusammenhang nachzuweisen?
Man müsste in einer Studie wirksame Störfaktoren nicht schätzen oder mit statistischen Modellen errechnen, sondern messen. Beispielsweise den Tabakkonsum, die Medikamenten-Compliance bei chronischen Erkrankungen, körperliche Aktivität, Übergewicht, Alkoholkonsum – all diese dem Lebensstil geschuldeten Risikofaktoren. Dann kann der Einfluss dieser Variable Feinstaub auf einen vorzeitigen Tod auch ermittelt werden. Man muss diese Hypothese der epidemiologischen Untersuchungen mit einer Studie bestätigen, aber darauf wurde verzichtet. Stattdessen hat man Grenzwerte festgelegt, die im Übrigen auf reine Schätzungen zurückgehen. Der Stickoxidgrenzwert, der 1999 von der EU festgelegt wurde, entstammt der Erkenntnis, dass in Wohnungen mit Gasherden, die Stickstoffdioxid-Konzentration um 40 Mikrogramm höher ist, als in Wohnungen ohne Gasherdbetrieb. Aus diesem Messergebnis war damals in keiner Weise irgendwelche Morbidität oder Mortalität abgeleitet worden. Aber die EU wollte für die Luftqualitätsziele, die sie sich auf die Agenda geschrieben hat, Grenzwerte – und die hat man willkürlich gewählt. 2008 sind sie dann in das Bundesimmissionsschutzgesetz übernommen worden.

Sind Feinstaub und Stickoxide Ihrer Erfahrung nach denn für die Gesundheit schädlich?
Da spreche ich jetzt als Pneumologe und als Kardiologe. Dem Stickoxid und Feinstaub werden ja Herz- und Lungenerkrankungen zugeschrieben. Meine Erfahrung aus einer dreißigjährigen Berufstätigkeit ist, dass die Konzentrationen, wie wir sie in Deutschland messen weder Morbidität noch Mortalität verursachen. Als Gründe möchte ich ein paar Plausibilitätsgründe anführen: Der Grenzwert für Stickoxide an der Straße ist 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel. Wenn Sie einen Gasherd in der Küche betreiben und auf zwei Flammen kochen, dann haben Sie schnell eine Konzentration von 1000 bis 2000 Mikrogramm pro Kubikmeter. Das verursacht keine Gesundheitsschäden und auch keine Symptome. Das würden die Lungenärzte mitbekommen. Ein anderes Beispiel für den Feinstaub: Im Hauptstrom des Zigarettenrauchs inhaliert der Raucher eine Konzentration von bis zu 500 Gramm pro Kubikmeter. Das ist das Zehnmillionenfache des gesetzlichen Grenzwerts von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter im Tagesmittel. Wenn wir jetzt annehmen, dass 50 Mikrogramm pro Kubikmeter tatsächlich Gesundheitsschäden, Krankheiten und Todesfälle verursachten, dann müsste jeder Raucher nach wenigen Tagen, spätestens nach zwei Wochen tot umfallen. Tut er aber nicht. Zumindest im Regelfall nicht. Und das sind einfach offensichtliche Argumente, die plausibel machen, dass an der Annahme, dass diese geringen Konzentrationsmengen krankmachende oder todherbeiführende Wirkung haben können, nichts dran ist. Dass die Stadt Stuttgart Feinstaubalarm ausruft, wenn befürchtet wird, dass dieser Grenzwert überschritten werden könnte, ist eine Absurdität. Denn diese Feinstaubkonzentrationen bedeuten weder eine akute noch eine große Gefahr für die Bevölkerung, sie sind im Grunde gar keine Gefahr.

Ist Ihnen die Stuttgarter Luft sauber genug?
Die Stuttgarter Luft ist sauber und gesund. Ich hab keine Sorge, dass ich in irgendeiner Weise Schaden nehmen könnte, selbst, wenn ich an der Neckartormessstelle wohnen würde. Ich wollte dort allerdings nicht wohnen, weil der Lärm zu groß ist.

Wie wünschen Sie sich die Straßen und die Autoproduktion der Zukunft? Soll die so bleiben?
Zunächst muss man sagen, dass die Automobilindustrie, so sehr sie in der Kritik steht, eine der saubersten Techniken für Verbrennungsmotoren mit dem Dieselmotor und der Euronorm 6 entwickelt hat. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass die Ökobilanz der Elektro-Mobilität für die Umwelt eine vorteilhaftere ist, als die moderne Verbrennungsmotortechnologie. Ich wünsche mir zwar auch verbrennungsfreie Fortbewegungsmöglichkeiten in der Stadt. Aber ich würde mir dann sehr wünschen, dass der Fahrradweg nicht direkt neben der Fahrbahn ist. Und da gibt es insbesondere in Stuttgart großen Nachholbedarf.

Ihr letztes Wort...
Ich denke, es ist von größter Wichtigkeit, dass die Frage der richtigen Grenzwertsetzung ideologiefrei geführt wird und eine sachliche wissenschaftliche Basis bekommt. Das ist zuletzt nicht der Fall gewesen. Und ich rate zu einer Aussetzung der nicht wissenschaftlich begründeten Norm. Das ist sicherlich rechtlich nicht einfach, weil EU-Recht über nationalem steht, aber da muss einfach eine Rechtsgüterabwägung erfolgen. Die Folgen durch die bestehende Norm mit den Fahrverboten sind ganz erheblich.

Zur Person: Prof. Dr. med. Martin Hetzel ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie, Kardiologie, Spezielle Internistische Intensivmedizin und Schlafmedizin. Er unterrichtet seit 1997 am Universitätsklinikum Ulm und war Leiter mehrerer klinischer Studien. Seit 2005 ist er Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Internistische Intensivmedizin, Beatmungsmedizin und Allgemeine Innere Medizin am Krankenhaus vom Roten Kreuz in Stuttgart-Bad-Cannstatt und mittlerweile auch ärztlicher Direktor des Krankenhauses. Zudem bekleidet er seit 2016 den Vorsitz der Süddeutschen Gesellschaft für Pneumologie.