Kroatische Fans feiern ausgelassen in der Landeshauptstadt, aber der Jubel hat auch eine politische Dimension. Quelle: Unbekannt

Dem Südwesten steht am Sonntag die vielleicht ausgelassenste WM-Party des Landes bevor. Hier leben die meisten Kroaten Deutschlands, der Siegtorschütze aus dem Halbfinale lernte hier kicken.

Stuttgart (dpa/lsw) Hupkonzerte, bengalische Feuer und Hrvatska (Kroatien)-Rufe: Als am Mittwoch der Schlusspfiff im Moskauer Luschniki-Stadion ertönt und Kroatien erstmals ins WM-Finale einzieht, verfällt Stuttgart in rot-weiße Ekstase. Das zweifarbige Karo, das die kroatische Fahne und traditionell die Heimtrikots der kroatischen Nationalmannschaft ziert, ist allgegenwärtig in der Landeshauptstadt. 3500 Begeisterte feiern allein auf der Theodor-Heuss-Straße. Auch in anderen Südwest-Städten kennt der Jubel keinen Halt: Das Auto-Land ist eine Nacht lang Autokorso-Land.

Dass der kroatische Jubel hier besonders laut ausfällt, ist kein Zufall. 109.500 Baden-Württemberger sind kroatische Staatsbürger - das sind mehr als in jedem anderen Bundesland. «Jeder in Kroatien kennt mindestens einen Baden-Württemberger», sagt der Geschäftsführer vom kroatischen Generalkonsulat in Stuttgart, Evan Bulaja. Der Hauptgrund dafür? «Arbeit», sagt Bulaja.

Viele der heute in Baden-Württemberg lebenden Kroaten waren schon hier, als der heute unabhängige Staat noch Teil der früheren Bundesrepublik Jugoslawien war: Während der bundesdeutschen Vollbeschäftigung in den 60er und 70er Jahren kam der erste große Schwung aus dem europäischen Südosten in den deutschen Südwesten. Große Industrieunternehmen wie Daimler und Bosch boten tausenden Jugoslawen Arbeit. «Viele von ihnen kehrten später nach Hause zurück und bauten Häuser, doch viele sind auch geblieben.»

Die zweite große Einwanderung arbeitssuchender Kroaten setzte laut Bulaja 2013 mit dem EU-Beitritt des kleinen Landes ein. 40.000 bis 50.000 seiner Landsleute seien seitdem nach Baden-Württemberg eingewandert, um hier Arbeit zu finden. «Die wirtschaftliche Situation in Kroatien ist schlecht, die Arbeitslosigkeit hoch, viele Städte im Osten des Landes sind fast menschenleer», erklärt Bulaja.

Eine weitere große Einwanderungsperiode waren die 90er Jahre. Damals flohen die Menschen jedoch nicht vor Arbeitslosigkeit, sondern vor den Kriegen in der zerfallenden Bundesrepublik Jugoslawien. So ergeht es 1992 auch einem Sechsjährigen, der mit seiner Familie vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland flieht - Mario Mandzukic.

Beim TSF Ditzingen, wo in den 90er Jahren spätere Bundesligastars wie Sean Dundee oder Fredi Bobic kicken, spielt Mario vier Jahre, bevor seine Familie und er Deutschland wieder verlassen müssen. 22 Jahre später ist der Junge von damals ein weltbekannter Stürmer von Juventus Turin und ein Nationalheld Kroatiens: Mandzukic schießt die kroatische Nationalmannschaft mit seinem Tor in der Verlängerung gegen England ins WM-Finale.

Das Jahrzehnt der Kriege in Jugoslawien ist lange vorbei, doch die Spannungen der früheren Bundesrepublik wirken noch immer in Nachfolgestaaten wie Serbien, dem Kosovo oder Kroatien nach. Die Schweizer Nationalspieler Shaqiri und Xhaka, die beide Wurzeln im ex-jugoslawischen Kosovo haben, provozierten im Spiel gegen das ex-jugoslawische Serbien den Gegner mit einer albanischen Geste beim Torjubel, Serbiens Trainer Mladen Krstajic verglich den Schiedsrichter Felix Brych mit serbischen Kriegsverbrechern.

Und auch der kroatische Jubel hat eine politische Dimension. Nach dem sensationellen Sieg der Kroaten über Vizeweltmeister Argentinien in der Vorrunde gab Abwehrspieler Dejan Lovren in der Kabine lauthals ein Lied der kroatischen Band Thompson zum besten, Videos davon kursierten im Internet. «Za Dom - Spremni!» heißt es zu Beginn des Songs, übersetzt: «Für die Heimat - bereit», eine Parole des faschistischen Ustascha-Regimes, eine Art kroatisches «Sieg Heil».

Seit Jahren berichten Kroatischstämmige von einem Rechtsruck in dem Land an der Adria, von «Za Dom - Spremni!»-Rufen und Flaggen des Ustascha-Regimes, einer Diktatur von Hitlers Gnaden. Gerade in der ohnehin patriotischen Atmosphäre von Public Viewings bei einer Fußball-WM sollen diese Tendenzen nun neuen Auftrieb bekommen haben - auch mit Hilfe der Nationalelf.

Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic werfen Kritiker vor, diesen Nationalismus zu befeuern, statt sich zu distanzieren. Grabar-Kitarovic verfolgte die Kroatien-Spiele auf der Regierungstribüne im Trikot ihrer Nationalmannschaft, zeigt sich so oft es geht mit der Mannschaft und soll selbst Thompson-Fan sein.

Einen Rechtsruck oder gar faschistische Tendenzen unter seinen Landsleuten sieht Konsulats-Geschäftsführer Bulaja aber nicht. «Wir hatten während des Kommunismus sehr schwierige Zeiten.» Die Kroaten seien deshalb sehr stolz auf ihre Unabhängigkeit. «Vielleicht zeigen wir das manchmal ein bisschen zu viel.»