Gedenkstein an der Unfallstelle Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Die Verteidiger im Jaguar-Prozess wollen ihren 21-jährigen Mandanten bald wieder auf freiem Fuß sehen. Zur Begründung verwiesen sie auf das Wesen des Angeklagten.

StuttgartSie haben kein Wort gesprochen, als sie am Montag den Gerichtssaal verließen. Doch ihre Gesichter sprachen Bände. Die Vorstellung einer höchstens zweijährigen, zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, ist den Eltern des beim Raserunfall im März getöteten Pärchens zu wenig. Würde die Kammer so urteilen, dann wäre der 21-jährige Angeklagte in wenigen Tagen wieder frei. Die beiden jungen Menschen starben, weil der zum Tatzeitpunkt 20-Jährige an der Rosensteinstraße die Kontrolle über einen gemieteten Jaguar verloren hatte, mit dem er mehr als Tempo 160 gefahren sein soll. Er schleuderte in das Auto des Paares. Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage wegen Mordes erhoben. Dabei blieb die Oberstaatsanwältin Christine Bez in ihrem vergangene Woche gehaltenen Plädoyer. Auch die Vertreter der Nebenkläger sprachen sich in ihren Schlussvorträgen für eine Verurteilung wegen Mordes aus.

Die Verteidiger sind anderer Ansicht. „Hierzu müsste der Tod der beiden Unfallopfer billigend in Kauf genommen worden sein. Diesen Tatnachweis konnte die Staatsanwaltschaft nach unserer Rechtsauffassung nicht erfüllen“, teilten die Anwälte Markus Bessler und Hans Steffan nach der nichtöffentlichen Sitzung mit. Ihre Sicht begründeten sie zum einen mit Erkenntnissen zur Technik, zum anderen mit der Reaktion auf den Unfall und dem Wesen des Angeklagten. Der 20-jährige Fahrer habe keinesfalls den Tod der beiden jungen Menschen in Kauf genommen. Das habe er schon deswegen nicht, weil er bei einem so schweren Unfall riskiert hätte, auch selbst schwer verletzt zu werden. Auch die Erschütterung des Angeklagten direkt nach dem Unfall, aufgrund derer er in der Psychiatrie untergebracht werden musste, spreche dagegen. Mehrere Zeugen schilderten, er habe Selbstmordgedanken geäußert, als er vom Tod der beiden Insassen des kleinen Citroën erfahren hatte.

Technisch ergab sich für die Verteidiger ein neuer Aspekt, als ein Mitarbeiter eines französischen Automobilzulieferers im Zeugenstand war. Dieser habe genau schildern können, welche fünf Sekunden das Steuergerät der Gurtstraffer und der Airbags aufgezeichnet habe. Die Aufzeichnung werde ausgelöst, sobald ein „Ereignis“ auftrete. Dann würde rückwirkend alles aufgezeichnet, was der Fahrer in den Sekunden davor getan habe. Die fünf Sekunden hätten nicht beim Aufprall auf den Kleinwagen begonnen, sondern als der Wagen kurz davor auf den linken Bordstein fuhr – etwa drei Zehntelsekunden vor dem Aufprall. Das ist kaum ein Wimpernschlag, für die Verteidiger jedoch wichtig: Das Gerät zeichnete eine Betätigung der Bremse auf. Das sei nach der neuen Zeitrechnung – plus die drei Zehntel – gewesen, bevor er um die lang gezogene Rechtskurve habe sehen können. Also sei das Bremsen keine Reaktion auf ein Auto gewesen, das ihm entgegenkam und nach links abbog. „Möglicherweise wollte der Angeklagte seine Geschwindigkeit reduzieren, da er sich der von ihm gefahrenen hohen Geschwindigkeit bewusst war“, erläuterte die Verteidiger. Einen Sekundenbruchteil später sah er, was hinter der Kurve lag – und den Linksabbieger. Wegen diesem macht er dann eine Ausweichbewegung, die dazu führte, dass er die Kontrolle verlor und der Unfall geschah. Mit einer Vollbremsung wär dieser noch zu verhindern gewesen.

Für die Anwendung des Jugendstrafrechts sprachen sich die Anwälte aus, weil der psychiatrische Gutachter beim Angeklagten eine entwicklungsbedingte Reifeverzögerung festgestellt habe. Mehr gaben sie aus dem Gutachten nicht preis. Es war auf ihren Antrag hin nichtöffentlich vorgetragen worden, da es private und intime Lebensbereiche des Heranwachsenden berührte. In der Folge wurden die Plädoyers unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehalten. Die Urteilsverkündung am Freitag, 15. November, ist wieder öffentlich.