Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth - Lichtgut/Achim Zweygarth

12 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst im Arbeitskampf – 6500 Teilnehmer kamen zur Kundgebung nach Stuttgart.

StuttgartDer Warnstreik im öffentlichen Dienst hat am Donnerstag viele Stuttgarter zum Umdisponieren gezwungen. Eltern mussten Alternativen für die Kinderbetreuung finden, Busfahrer aufs Auto umsteigen oder Fußwege in Kauf nehmen, Taxis waren umkämpft.

Kundgebung in der City

Um die Mittagszeit zog der Demonstrationszug der Streikenden, angeführt von Rapper Toba Borke, quer durch die Stadt zu einer zentralen Kundgebung auf den Schlossplatz. Cuno Brune-Hägele, der Stuttgarter Verdi-Geschäftsführer, gab dort den Einheizer: „Wir sind deutlich mehr als erwartet, und das ist gigantisch! Wir rocken die Tarifrunde!“ 6500 Teilnehmer skandierten mit und ließen unüberhörbar ihre Rätschen klappern.

Keine Annäherung im Tarifstreit

Warnstreiks in verschiedenen Städten haben die Tarifauseinandersetzung begleitet. Anlässlich der dritten Verhandlungsrunde am 15. und 16. April in Potsdam zeigten die Gewerkschaften Erziehung und Wissenschaft sowie Verdi am Donnerstag in Ulm oder Stuttgart, wie groß die Streikbereitschaft ist. „Uns reicht’s!“, stand auf den Bannern, und auch der Sprechchor „Wir sind streikbereit“ darf als Warnung an den Bund und den kommunalen Arbeitgeberverband (VKA) verstanden werden.

Gelassene Fahrgäste

Wegen der Arbeitsniederlegungen blieben Stadtbahnen und Busse der SSB im Depot, morgens um 7 Uhr herrschte gähnende Leere an den Gleisen der U-Bahnen. Einzelne Fahrgäste liefen zu den Bahnsteigen hinunter – und kehrten enttäuscht wieder um. Eindeutig keine Berufspendler. „Ich bin nur heute in Stuttgart. Das mit dem Streik habe ich nicht so wirklich mitbekommen“, sagt ein Passant aus Karlsruhe. Die Stuttgarter haben sich anscheinend mehrheitlich um einen alternativen Weg zur Arbeit bemüht, zum Beispiel mit S-Bahnen, Fahrrad oder zu Fuß.

Vor allem die Taxi-Fahrer kamen auf ihre Kosten. Vor dem Hauptbahnhof standen in aller Frühe schon 15 Fahrgäste Schlange. „Seit halb sieben ist besonders viel los“, sagt einFahrer.

Mehr Autos unterwegs

Tausende Pendler sind aufs Auto umgestiegen, was sich rund um Stuttgart, aber auch am Stöckach im Stuttgarter Osten bemerkbar gemacht hatte. Dort ist der Verkehr gegen 8.30 Uhr fast zum Erliegen gekommen, andere Strecken blieben hingegen ungewohnt frei – zum Beispiel am Fasanenhof, wo es oft Rückstaus bis auf die B 27 gibt. Ein 44-Jähriger, der mit seinem alten Rennrad zur Arbeit gekommen ist, hat allerdings „kein Verständnis“ für den Warnstreik: „Wenn man 1960 Euro für die Jahreskarte zahlen muss, dann geht das überhaupt nicht.“

Fast alle städtischen Kitas zu

Die Stadt Stuttgart betreibt insgesamt 183 Kindertageseinrichtungen, davon blieben 153 geschlossen. 20 Einrichtungen blieben geöffnet, zehn Kitas hatten für zumindest einen Teil ihrer Gruppen Erzieherinnen im Haus. Unter den Angestellten des Jugendamts ist die Kampfbereitschaft hoch: 1677 waren laut Stadt in Streik getreten.

Volle Tonnen

Abfall- und Wertstoffbehälter sind stehen geblieben, weil mehr als 300 Beschäftigte des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft Stuttgart (AWS) für diesen einen Tag der Arbeit fernblieben. Die Stadt Stuttgart will das in den folgenden Tagen allerdings nun nachholen.

Worüber gestritten wird

In den derzeit laufenden Tarifverhandlungen fordern die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verdi sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens jedoch 200 Euro mehr für die Beschäftigten und 100 Euro mehr für Azubis.

Die Arbeitgeber haben bisher kein Angebot vorgelegt. In Anbetracht der geplanten Tarifreform beim VVS warnte Hanna Binder, die stellvertretende Leiterin des Verdi-Landesbezirks: „Für Pendler wird der ÖPNV bald um ein Viertel billiger. Das darf aber keine schlechte Nachricht für die Beschäftigten der SSB werden!“ Rund 1600 hatten sich am Donnerstag am Streik beteiligt.

Eltern gegen Funktionalisierung

Insgesamt haben sich nach Angaben der Stadt Stuttgart 2350 Beschäftigte am Streik beteiligt, unter anderem im Jugendamt, im Abfallwirtschaftsamt, im Garten-, Friedhofs- und Forstamt, im Amt für öffentliche Ordnung, im Schulverwaltungsamt und bei den Kur- und Bäderbetrieben. Mütter und Väter beobachten die Tarifauseinandersetzung skeptisch: „Die Leistung der Erzieher und Erzieherinnen wird wieder mal als Druckmittel eingesetzt. Wir finden es unverantwortlich, dass Verdi, insbesondere nach den Tarifauseinandersetzung 2015 , nicht davor zurückschreckt, ihren Kampf auf dem Rücken von Kindern und Eltern auszutragen“, teilt der Gesamtelternbeirat der städtischen Kindertageseinrichtungen, Horte und Schülerhäuser (GEB) mit. 2015 war es zu einem unbefristeten Streik gekommen, zu einem Abschluss erst Ende September. Der GEB appelliert zwar für eine angemessene Werschätzung des Personals, aber auch für „lösungsorientierte und zügige Verhandlungen“.

Die GEW argumentiert: Mehr als 85 000 Kita-Fachkräfte landesweit müssten von den sprudelnden Steuereinnahmen profitieren.

Notdienst in Krankenhäusern

Nach Angaben des Klinikums sind 300, nach Angaben der Beschäftigten sogar 400 Mitarbeiter im Ausstand gewesen. Damit Akutpatienten versorgt werden konnten, hatten Stadt und Verdi eine Notdienstvereinbarung abgeschlossen. Operiert worden seien nur noch Notfälle, die Küche habe lediglich ein Streikessen ausgegeben, berichtet eine Mitarbeiterin. Auch Einschränkungen bei Aufnahmen und Untersuchungen habe es gegeben. „Planbare Behandlungen wurden rechtzeitig umdisponiert“, so Pressesprecherin Ulrike Fischer.