Imposant und einen Besuch wert: die Stuttgarter Stadtbibliothek am Mailänder Platz. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski - Lichtgut/Leif Piechowski

Stuttgart ist seit Ende 2018 schuldenfrei - und erwirtschaftet hohe Jahresüberschüsse. Doch Nutzer der Stadtbibliothek müssen seit dem 1. Januar höhere Gebühren zahlen.

StuttgartMalik Zighmi ist verärgert. „Das ist nicht zu verstehen. Wer hat das entschieden?“, fragt er. Gemeint ist die Gebührenerhöhung der Stadtbibliothek, die seit 1. Januar gilt. Neu eingeführt wurde gar die Transportgebühr: Wenn man ein Buch in der Bibliothek am Mailänder Platz ausleiht und in einer Stadtteilbücherei zurückgeben will (oder andersrum), kostet das fortan einen Euro. Bisher war der Service kostenfrei und wurde rege genutzt: Im Jahr wurden eine halbe Million Medien zwischen den verschiedenen Bibliotheken transportiert. „Ich gehe mit meinen Kindern gerne auch mal unregelmäßig in den Büchereiwürfel, um das ausgelesene Botnanger Stadtteilbibliotheksangebot zu ergänzen. Aber nicht oft genug, um es auch dort wieder rechtzeitig zurückzugeben. So wird das für meine Kinder und mich teuer“, sagt Zighmi. Zumal auch die Gebühr für verspätete Medienrückgabe erhöht wurde: von 50 Cent für jedes Medium pro Woche auf 80 Cent.

Auch andere Bürger beschweren sich: Seit November 2018 sind 21 Gelbe Karten zur Gebührenerhöhung in der Stadtbibliothek eingegangen. 20 davon betreffen die Transportgebühren. Ein Großteil bezeichnet die Gebührenerhöhung als kundenunfreundlich. Für einige Bürger ist die Höhe der Gebührenerhöhung nicht nachvollziehbar. Andere kritisieren die Erhöhung aus sozialen Aspekten. Ein Bürger spricht die Feinstaubbelastung durch den Transport an. Auch Martin Körner, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stuttgarter Rathaus, stieß vor ein paar Tagen in der Eduard-Pfeifer-Bücherei in S-Ost auf „eine unangenehme Erinnerung an einen Beschluss von CDU und Grünen zur Haushaltskonsolidierung“. Denn tatsächlich muss die Stadtbibliothek – so steht es dort auch auf Hinweiszetteln zu lesen – „einen Beitrag zur strukturellen Verbesserung des Stadthaushalts leisten“. Körner findet diesen Beschluss falsch: „Stuttgart ist eine reiche Stadt mit einem Jahresüberschuss von 200 Millionen Euro. Da stellt sich die Frage: Was soll das?“ Zumal sehr viele Menschen und auch viele Familien von der Gebührenerhöhung betroffen sind. „Das ist ein falsches Signal“, sagt Körner.

Überrascht wurde er von der Erhöhung freilich nicht: Bereits im Jahr 2017 hatte die Verwaltung eine Liste mit „Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung des Stadthaushalts“ in den Gemeinderat eingebracht. Trotz voller Kassen gab es etliche Vorschläge, Gelder einzusparen oder zu erwirtschaften – darunter auch die, die jährliche Nutzungsgebühr der Stadtbibliothek sowie die Versäumnisgebühr zu erhöhen und eine neue Transportgebühr einzuführen. Durch diese neue Gebühr will man insgesamt 70 000 Euro Mehreinnahmen erzielen.

Die SPD stellte damals den Antrag, dass alle drei Vorschläge nicht umgesetzt werden sollten. „Unser Antrag fand eine Mehrheit, was die Ablehnung der Erhöhung der jährlichen Nutzungsgebühr anbelangt. Keine Mehrheit hatten wir beim Nein zur Erhöhung der Versäumnisgebühr und zur Einführung der Transportgebühr“, sagt Körner.

Weshalb halten Grüne und CDU trotz der vollen Kassen die Transportgebühr für notwendig? Bei der Grünen-Stadträtin Gabriele Nuber-Schöllhammer rennt man mit dieser Frage „offene Türen ein“: „Ich persönlich finde, dieser Beschluss ist ein Fehler, den wir korrigieren müssen“, sagt sie. Sie werde sich dafür einsetzen, dass die Gebührenerhöhung in der Stadtbibliothek bei den nächsten Haushaltsverhandlungen noch einmal neu beraten wird – das habe sie auch schon der stellvertretenden Leiterin der Bibliothek, Elke Brünle, gesagt. „Vor allem die Transportgebühr finde ich nicht gut: Die betrifft oft Familien, die Medien in der Stadtmitte ausleihen – und die diese dann von ihrem Stadtteil aus wieder zurückbringen müssen“, sagt Nuber-Schöllhammer.

CDU-Stadtrat Jürgen Sauer hält die höhere Gebühr bei einer verspäteten Medienrückgabe für „durchaus sinnvoll: Damit kann man sanften Druck ausüben“, erläutert er. Die CDU habe sich sogar für eine höhere Gebühr eingesetzt als von der Verwaltung gefordert. Nachdenklicher zeigt er sich, was die Transportgebühr angeht. Angesichts der Finanzlage der Stadt will er sich mit seiner, dann mit den anderen Fraktionen beratschlagen und prüfen, ob die „Maßnahme unverhältnismäßig“ ist. Sein Ziel: In den kommenden Haushaltsberatungen eine „andere Lösung zu finden“ und diese Transportgebühr „wieder abzuschaffen“. Das sei den Worten Sauers zufolge auch der Wunsch der kürzlich verstorbenen Bibliotheksdirektorin Christine Brunner gewesen. Sauer betonte: „Ich stehe bei ihr im Wort, da ich ihr versprochen habe, dass ich mich darum kümmere.“ Vonseiten des Kulturamts heißt es hingegen, die Versäumnis- und Transportgebühren seien schließlich vom Nutzer steuerbar beziehungsweise vermeidbar. Freilich: Herr Zighmi wird mit seinen Kindern wohl kaum mehr in die Stadtbibliothek in Mitte fahren.