Mit Sprüchen wie diesen hatte die Stadt auf das Thema aufmerksam gemacht - und wegen der drastischen Wortwahl viel Kritik geerntet.Archiv Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Plakate mit Sprüchen wie „Die Würde des Menschen ist auch beim Ficken unantastbar“ hingen im vergangenen Jahr im gesamten Stadtgebiet. Der Grund: Mit einer Kampagne wollte die Stadt Stuttgart auf das Thema Armuts- und Zwangsprostitution aufmerksam machen. Doch haben die drastischen Worte auf den Plakaten etwas bewirkt?

„Nutten sind Menschen“: Vier Wochen lang im Mai vergangenen Jahres hingen 260 Plakate mit markigen Sprüchen an Werbesäulen im gesamten Stadtgebiet und weitere 150 an Zäunen, zudem wurden Hunderte sogenannte Gastrocards verteilt. Die 125 000 Euro teure Kampagne „Stoppt Zwangs- und Armutsprostitution“ war Teil eines referatsübergreifenden „Konzepts zur Verbesserung der Situation der Prostituierten in Stuttgart“.

Für die drastische Wortwahl hatte Oberbürgermeister Fritz Kuhn reichlich Schelte bezogen. Kritik kam unter anderem von der Kirche, aber auch aus der CDU und der SPD in Stadt und Land. Doch der Grünen-Politiker verteidigte die scharfzüngige Aktion gegen alle Widerstände: Man wolle damit eine Wertediskussion eröffnen. Jedem Freier, betonte Kuhn damals, müsse klar sein: Auch wenn sie Sex gegen Bezahlung hätten, seien „bestimmte Fragen des Anstands zu beachten“.

Ein Jahr später schätzt man im Stuttgarter Rathaus ein, die Kampagne habe einen Wandel bewirkt. „Die Aktion hat in der Stadt eine Wertediskussion zum Frauenbild in der Gesellschaft und zur Sexualität angestoßen. Es wurde intensiv über das Thema Prostitution geredet“, sagt ein Sprecher der Verwaltung. Insofern sei die Kampagne aus Sicht der Stadt erfolgreich gewesen. Eine Neuauflage sei daher nicht geplant.

In der Szene indes ist man heute wie damals geteilter Meinung über die Aktion. „Manche Bordellbetreiber sind seitdem sauer und lassen die Sozialarbeiter nicht mehr in die Häuser“, berichtet eine Sozialarbeiterin, die im Stuttgarter Rotlichtmilieu tätig ist und lieber anonym bleiben will. Geändert habe sich an der Situation kaum etwas, denn viele Zwangsprostituierte kämen aus den Bordellen nicht heraus. Etwa 90 Prozent der Frauen werden ihr zufolge zu der Arbeit gezwungen. „Die Diskussion über die Wortwahl war scheinheilig“, ärgert sie sich. Die Menschen brüskierten sich über die Sprüche, dabei gehe es im Leonhardsviertel schlimmer zu. In der Bevölkerung aber stellt sie einen Effekt fest: „Manche sagen, dass sie jetzt anders über die Mädchen denken.“

Rund 470 Prostituierte arbeiteten 2016 nach Polizeiangaben täglich in Stuttgart, die meisten in den rund 170 Bordellbetrieben. Fast 90 Prozent der Frauen stammen aus dem Ausland - vor allem aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Wie viele Frauen zur Prostitution gezwungen werden, lässt sich nicht belegen. Zweifellos aber werden finanzielle Notlagen ausgenutzt: Nach Einschätzung der Polizei ist Straßenprostitution fast zu 100 Prozent Armutsprostitution.

Die Rechte der Prostituierten sollen jedoch gestärkt werden. Zum 1. Juli tritt das bundesweite Prostituiertenschutzgesetz in Kraft - nach jahrelanger Diskussion. Die Regelungen beinhalten eine Anmeldepflicht für Prostituierte, verpflichtende Beratungsgespräche und eine Kondompflicht für Freier. Bordellbetreiber müssen eine Erlaubnis der zuständigen Behörde beantragen - und erhalten diese nur, wenn sie die Zuverlässigkeitsprüfung bestanden haben. Damit sollen menschenunwürdige Zustände verhindert werden. Auch die Polizei bekommt mit dem Gesetz mehr Befugnisse. Die Beamten dürfen dann Bordelle und selbst Terminwohnungen anlassunabhängig überprüfen und auch die geschäftlichen Unterlagen einsehen. Die Umsetzung des Gesetzes ist Ländersache. Der Stadt Stuttgart fehlen dem Sprecher zufolge aktuell aber die notwendigen Richtlinien des Sozialministeriums, um es realisieren zu können. Derzeit geht man von einer Verzögerung von etwa einem halben Jahr aus.

Ohnehin setzt das Rathaus auf eine andere Strategie im Kampf gegen das Gewerbe. Die Stadtverwaltung will im Stuttgarter Rotlichtviertelzahlreiche Bordelle schließen und künftig nur noch wenige Etablissements zulassen. Möglich wird dies durch einen neuen Bebauungsplan. Im Leonhardsviertel haben demnach nur noch bordellartige Betriebe Bestandsschutz, die bereits vor 1985 und seither ununterbrochen existierten. Mehr als die Hälfte aller Laufhäuser stünde somit vor dem Aus.