Schwimmender Protest in Cannstatt: Das Bündnis Neckarfreude mahnt eine bessere Wasserqualität an. Foto: Karsten Schmalz - Karsten Schmalz

Schwimmen, baden, surfen – in Stuttgart wird diskutiert, welche Möglichkeiten der Neckar bieten könnte. Doch Zahlen des Umweltministeriums lassen aufhorchen: Der Fluss ist zumindest zeitweise sehr dreckig.

StuttgartDie Landeshauptstadt und ihr Fluss – das ist eine schwierige Beziehung. In Stuttgart gilt der Neckar noch immer vorwiegend als Industriegewässer, fernab der Innenstadt und für die Bürger kaum erlebbar. Trotz allerlei Masterplänen und kleinerer Projekte in Stadt und Region hat sich daran noch nicht viel geändert. Deshalb haben zuletzt immer wieder die Bürger versucht, die Sache in die Hand zu nehmen. Das Bündnis Neckarfreude für Stuttgart kämpft für einen sauberen Fluss, in dem jeder schwimmen kann. Und der Verein Neckarwelle will im Seitenkanal in Untertürkheim eine Surf-Sportstätte durchsetzen.

Dabei hat es zuletzt einen herben Rückschlag gegeben. Im Frühjahr hat die Stadtverwaltung das Ansinnen abgelehnt. „Wir können den Bau nicht genehmigen. Gesundheitsschutz steht vor sportlichem Vergnügen“, sagte Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. Das Landesgesundheitsamt schätzt das Gewässer als zu stark belastet ein, der Stadt ist das Risiko zu hoch. Aufschlussreich bei dieser Diskussion ist jetzt die Antwort des Umweltministeriums auf eine FDP-Anfrage, die unserer Zeitung vorliegt. Darin bescheinigt das Ministerium dem Neckar auf seinem gesamten Verlauf von der Quelle bis zur Mündung in den Rhein einen biologisch wie chemisch bedenklichen Zustand. Es gibt zu viel Abwasser, zu viele Staustufen, zu viele Nährstoffe. Der Fischbestand verändert sich, an vielen Stellen gibt es kaum noch Fische.

Exemplarisch abgeschätzt worden ist die Abwasserbelastung hinter dem Hauptklärwerk in Stuttgart-Mühlhausen. Bei mittleren Verhältnissen beträgt der Abwasseranteil im Fluss dort 13 Prozent. Bei Niedrigwasser, wie es sowohl im Sommer wie im Winter zuletzt häufiger auftritt, steigt er allerdings auf bis zu 37 Prozent an. Das sind hohe Werte und große Schwankungen.

Nun liegt die Einleitstelle schon auf der Gemarkung Remseck. „Wie hoch der Anteil an gereinigtem Abwasser vor der Einleitstelle im Stuttgarter Stadtgebiet ist, entzieht sich unserer Kenntnis“, sagt Stadtsprecher Martin Thronberens. Die Stellungnahme des Ministeriums lasse allerdings darauf schließen, dass auch dort der Anteil erheblich ist. Denn die Stadt schätzt, dass das Abwasser aus dem Hauptklärwerk selbst zwischen sieben und 12,5 Prozent des Neckarwassers an dieser Stelle ausmache. Der ganze Rest muss also schon vorher im Fluss sein.

Werte, die hellhörig werden lassen. „Der Neckar bleibt das Sorgenkind unserer Flusslandschaft. Von einer grün geführten Landesregierung erwarte ich, dass sie die rechtlichen Vorgaben der europäischen Wasserrahmenrichtlinie ernst nimmt und die Verbesserung des ökologischen Zustands des Flusses zügig vorantreibt“, sagt Gabriele Reich-Gutjahr, umweltpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Landtag. Die Stuttgarter Abgeordnete fordert: „Wenn der Neckar in Trockenphasen zeitweilig zu fast 40 Prozent aus Abwasser besteht, sollten wir die Modernisierung der kommunalen Kläranlagen entlang des Flusses noch gezielter forcieren.“ In Mühlhausen zum Beispiel fehle noch immer eine vierte Reinigungsstufe.

Das jedoch wird sich bald ändern. Bereits am Dienstag will die Stadt öffentlich die Pläne zum weiteren Ausbau vorstellen. Satte 85 Millionen Euro sollen die Maßnahmen kosten. Das Land wird die Arbeiten mit 2,9 Millionen Euro fördern. Mit dem ersten Bauabschnitt will man noch in den nächsten Wochen beginnen. Er soll bis 2025 abgeschlossen sein, ein weiterer bis 2028 folgen. Die vierte Reinigungsstufe soll die größte Kläranlage Baden-Württembergs, in die Abwässer nicht nur aus Stuttgart, sondern auch aus Esslingen, Fellbach, Korntal-Münchingen, Kornwestheim und Remseck fließen, weiter verbessern. Seit 2014 steht dort eine entsprechende Versuchsanlage. Mit ihr wurde nach den besten Methoden geforscht, um Spurenstoffe und Medikamentenrückstände aus dem Wasser zu entfernen. Geplant ist nun ein Verfahren mit Aktivkohle. Außerdem werden die Sandfilteranlage verbessert, die Elektro- und Maschinentechnik erneuert sowie die Rohrleitungen saniert. Auch ein besserer Hochwasserschutz ist vorgesehen. Von all diesen Maßnahmen profitiert der Neckar aber erst hinter der Stadtgrenze.

Die Stuttgarter Bürger wollen ihren Fluss jedenfalls nicht aufgeben. Der Verein Neckarwelle will noch im Herbst eine wasserrechtliche Genehmigung für den Bau der Surfanlage beantragen. „Sollte sie uns verwehrt werden, besteht die Möglichkeit, gegen den negativen Bescheid Widerspruch einzulegen und diese Frage gerichtlich klären zu lassen“, sagt der Vorsitzende Volker Sellmeier. Man setze jedoch derzeit alles daran, „dass es nicht dazu kommt und uns die Genehmigung direkt erteilt werden kann“. Die Bedenken der Behörden, betont er, habe man aufgegriffen und wolle für einen Betrieb ohne Gesundheitsgefahr sorgen.