Foto: Lichtgut/Leif Piechowski - Lichtgut/Leif Piechowski

Im Bundesetat, der derzeit im Kabinett beraten wird, ist zu wenig Geld für die moderne Signaltechnik ETCS enthalten. Das Landesverkehrsministerium schlägt Alarm.

StuttgartFür viele S-Bahnfahrgäste im Berufsverkehr ist es Alltag: überfüllte Züge, Verspätungen und Ausfälle. Die Aussicht auf eine Verbesserung verbindet sich auch mit dem Vierbuchstabenkürzel ETCS. Die moderne Signal- und Steuerungstechnik soll dafür sorgen, dass mehr und längere S-Bahnen in dichterem Abstand fahren können und sich Verspätungen schneller abbauen lassen. Die Kapazität der unterirdischen Stammstrecke in Stuttgart, die von allen Linien genutzt wird, ließe sich von 20 auf 24 Züge pro Stunde steigern.

Doch der Hoffnungsschimmer, dass mit Stuttgart 21 im Jahr 2025 auch ETCS für die S-Bahnen und Regionalzüge in Betrieb geht, könnte sich am Mittwoch verdunkeln. Am Vormittag beschließt das Bundeskabinett in Berlin die Eckpunkte für den Etat 2020. Für die bundesweite Digitalisierungsoffensive auf der Schiene sind darin statt der jährlich geforderten 1,5 Milliarden nur 567 Millionen Euro bis 2023 vorgesehen. Das ist deutlich weniger Geld, als der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) – gestützt auf eine Machbarkeitsstudie – vom Finanzressort von Minister Olaf Scholz (SPD) gefordert hatte. Auch das Land Baden-Württemberg und der Verband Region Stuttgart gingen von einem erheblich größeren Bundestopf aus, als sie vor acht Wochen beschlossen, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Für die Ausstattung des Bahnknotens Stuttgart und die Umrüstung der Fahrzeuge mit ETCS werden gut eine Milliarde Euro angesetzt. Die jetzt im Raum stehenden Bundesmittel würden dafür nicht ausreichen, heißt es.

In einem Brandbrief, der unserer Zeitung vorliegt, hat sich deshalb Uwe Lahl, Ministerialdirektor im Landesverkehrsministerium, an den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Werner Glatzer, gewandt. „Für den Bahnknoten Stuttgart würde eine Verzögerung der Digitalisierung bedeuten, dass der einzige Hauptbahnhof, der in Deutschland neu gebaut wird, mit konventioneller Technik in Betrieb gehen würde“, heißt es darin, „es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn der neue Bahnhof bereits im Bau technologisch veraltet wäre“.

Der Beschluss, ob die Tunnelstrecken von S 21 digitalisiert werden, muss in diesem Jahr getroffen werden. Und nur wenn ETCS bei S 21 eingesetzt wird, gibt es überhaupt eine Chance, auch die S-Bahn- und Regionalzugstrecken damit auszustatten. Bisher schienen die Weichen für ETCS gestellt. Im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU heißt es, dass „die Digitalisierung der Schiene, auch auf hochbelasteten S-Bahnstrecken, vorangetrieben werden“ solle. Auch die Bahn hatte sich im Herbst in Person von Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla für ETCS am Bahnknoten Stuttgart ausgesprochen, in einer Machbarkeitsstudie wird es als eines von fünf Pilotprojekten aufgeführt. Ein Kleineres, aber bereits Beschlossenes ist eine Teststrecke in Hamburg. Als sich im Herbst 2018 ein Beschluss des Haushaltsausschusses über die Finanzierung des Projekts digitale Schiene verzögerte, versicherte der Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, der Bundestagsabgeordnete Steffen Bilger (CDU) aus Ludwigsburg, Ende Oktober noch, dass man auf einem guten Weg sei. So äußerten sich auch SPD-Bundestagsabgeordnete wie Ute Vogt aus Stuttgart.

Anfang des Jahres beschlossen dann das Landeskabinett und die Regionalversammlung umfassende Konzepte. Vor allem die Region ging als Träger des S-Bahnverkehrs in Vorleistung. Sie orderte für mehr als 400 Millionen Euro 56 neue S-Bahnen (zwei weitere kauft die Bahn). Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) setzt deshalb darauf, dass „das Eckpunktepapier noch nicht das letzte Wort ist“. Er könne sich einfach nicht vorstellen, dass der Bund diese Zukunftschance verstreichen lasse. Und selbst wenn das Kabinett das Papier beschließe, ist für Bopp „noch nicht aller Tage Abend.“

Neue Technik

ETCS steht für European Train Control System. Diese Steuerungs- und Signaltechnik erlaubt kürzere Abstände, die Züge können dadurch dichter hintereinander in Haltestellen einfahren. ETCS soll standardisiert europaweit eingesetzt werden. Bundesweit wird mit Startkosten von 12 Milliarden Euro gerechnet.

Für den Bahnknoten Stuttgart wird mit Kosten von 600 Millionen Euro für ETCS ausgegangen. Das Land würde 230 Millionen Euro übernehmen. Aber auch 215 S-Bahnen müssen von der Deutschen Bahn mit der Technik ausgerüstet werden. Damit sich die Investition lohnt, soll der S-Bahn-Verkehrsvertrag mit der Bahn von 2028 bis 2032 verlängert werden.

Eine weitere Linie über die Schwabstraße hinaus nach S-Vaihingen soll mit ETCS fahren. Die 58 neuen S-Bahnen für 422 Millionen Euro sollen mehr Langzüge im Berufsverkehr ermöglichen.