Eine 84-Jährige ist mit ihrem Mercedes rückwärts aus einer Ausfahrt gefahren und kam erst auf der anderen Seite der Karl-Pfaff-Straße zum Stehen. Dabei hat sie eine Nachbarin erfasst. Foto: SDMG/Willinger Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Zu einem tragischen Unfall ist es gestern Mittag in Degerloch gekommen: Eine 84 Jahre alte Frau ist mit ihrem Mercedes aus einem Hof rückwärts in die Karl-Pfaff-Straße gefahren und hat dabei eine 74-jährige Nachbarin, die zu Fuß unterwegs war, erfasst. Sie erlitt einen Herz-Kreislaufstillstand. Trotz sofort eingeleiteter Reanimation konnten die Rettungskräfte ihr nicht mehr helfen.

Nach Polizeiangaben wollte die 74 Jahre alte Frau der Autofahrerin sogar noch behilflich sein und sie aus dem Grundstück herauswinken. Was dann passierte, muss ein Sachverständiger nun klären. Als die Polizisten und der Notarzt an der Unfallstelle eintrafen, stand die silberne C-Klasse rund fünf Meter von der Ausfahrt entfernt, die Fußgängerin lag regungslos dahinter. Offenbar ist die Rentnerin rückwärts einmal quer über die Kreuzung gefahren, ehe sie halb auf dem Gehweg in der Haidlenstraße zum Stehen gekommen ist. Hat die betagte Autofahrerin Bremse und Gas verwechselt? Für diese Theorie spricht, der platte linke Vorderreifen. Offenbar ist ihr Fahrzeug mit voller Wucht auf den gegenüberliegenden Bordstein geknallt.

Immer, wenn Senioren in schwere Unfälle verwickelt werden, werden auch verpflichtende Fahrtests thematisiert, schließlich wird ihnen ein höheres Unfallrisiko unterstellt. In der aktuellen Unfallstatistik des Polizeipräsidiums Stuttgart ist die Gruppe ab 65 Jahren insgesamt jedoch eher als unauffällig einzustufen. Die Zahl der verursachten Unfälle liegt im vergangenen Jahr mit 9,4 Prozent deutlich unterhalb ihres Bevölkerungsanteiles. Auch bei schweren Unfällen kommen die betagten Autofahrer nur auf 11,4 Prozent, die jungen Erwachsenen, die von der Polizei als Risikogruppe eingestuft werden, dagegen auf 14,8 Prozent. Auffällig ist jedoch, dass drei von fünf Unfällen mit Senioren von diesen selbst verursacht werden, heißt es in dem Lagebericht. Grundsätzlich sei in der Diskussion jedoch zu berücksichtigen, dass Senioren häufig über eine jahrelang erworbene Fahrkompetenz verfügen, die sie auch bei gesundheitlichen Einschränkungen oder altersbedingt verlangsamtem Reaktionsvermögen noch in die Lage versetzt, am Straßenverkehr als Fahrzeugführer teilzunehmen.

Die Fahrpraxis ist auch für Anja Smetanin, Sprecherin des Auto Club Europa, das entscheidende Argument. „Der ACE lehnt verpflichtende Fahrtests für Senioren ab, zeigt sich aber offen gegenüber regelmäßigen medizinischen Untersuchungen und Coaching-Fahrten.“ Ähnlich sieht es auch ADAC-Sprecher Reimund Elbe. „Ab wann soll man solche verpflichtenden Kontrollen durchführen? Die Leute bleiben länger fit als noch vor einigen Jahrzehnten. Kreislaufprobleme können auch jüngere Autofahrer treffen.“ Grundsätzlich solle man auf sein Umfeld hören, also auf Verwandte oder Ärzte, die einen untersuchen.

Die Forderung, älteren Menschen den Führerschein zu entziehen, sei beim näheren Hinsehen kein ernst zu nehmender Lösungsansatz, fügt Smetanin hinzu. „Die Mobilität der Älteren gilt es sicherzustellen. Dazu gehören auch Aufklärung und Sensibilisierung, so dass Ältere selbstständig ihre Fähigkeiten kritisch überprüfen. Aber auch die Schaffung vielfältiger Mobilitätsangebote ist ein wichtiger Punkt.“ Senioren sollten Trainingsangebote nutzen, aber einen Zwang dazu dürfe es nicht geben. Die ACE-Sprecherin appelliert dabei an alle Verkehrsteilnehmer. „Man sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein. Dazu gehört auch das regelmäßige Überprüfen, ob ich den Herausforderungen des Straßenverkehrs gewachsen bin.“

Sowohl der ADAC als auch der ACE bieten in Zusammenarbeit mit Fahrschulen spezielle Kurse für Senioren an, in denen die älteren Autofahrer auf Fehler und Probleme hingewiesen werden. „Da wird durchaus auch mal Tacheles geredet“, so Elbe.

Zeugen werden gebeten, sich bei der Verkehrspolizei unter der Rufnummer 0711/8990 4100 zu melden.