Verkehrsschneisen wie die Konrad-Adenauer-Straße sind aus Sicht der Befürworter einer autofreien Innenstadt nicht mehr zeitgemäß. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Elke Hauptmann

Stuttgart - Mit der denkbar knappsten Mehrheit von einer Stimme hat der gemeinderätliche Ausschuss für Umwelt und Technik gestern einen Zielbeschluss gefasst: Die Fußgängerzone innerhalb des Cityrings soll ausgeweitet werden. Dafür werden rund 150 Parkplätze am Straßenrand entfallen.

„Eine lebenswerte Stadt für alle!“ Dieses Ziel eint Grüne, SPD, SÖS-Linke-Plus und Stadtisten. Sie hatten in einem interfraktionellen Antrag den Stadtumbau gefordert und sich dabei auf Bürgerumfragen berufen: Die Stuttgarter würden sich demnach eine Stadt mit mehr Grün- und Parkanlagen, weniger Autoverkehr in der Innenstadt, eine bessere Luft und weniger Lärm wünschen - schlicht „eine lebenswerte Stadt für zu Fuß Gehende und Radfahrende mit einer optimalen Nahverkehrsanbindung“. Das Bündnis „Stuttgart laufd nai“, bestehend aus 22 Bürgerinitiativen, Verbänden und Parteien, initiierte gar ein Bürgerbegehren mit dem Ziel, die Fußgängerzone auf die gesamte Innenstadt auszuweiten und dort zusätzliche Radwegeverbindungen einzurichten.

Die Idee der „City als Flaniermeile“ soll nun - gegen die Stimmen von CDU, Freie Wähler, AfD und FDP - Wirklichkeit werden. Oberbürgermeister Fritz Kuhn unterstützt den Zielbeschluss: „Eine nachhaltige Stadt ist eine menschenfreundliche Stadt, die an ihre öffentlichen Räume, Plätze und Straßen gerade im Innenstadtbereich den menschlichen Maßstab als Bezugspunkt anlegt.“ Eine attraktive Innenstadt mit ihrer Konzentration von Kultur, Handel und öffentlichen Einrichtungen sei das wichtigste Aushängeschild Stuttgarts.

Die Verwaltung hat mit dem Beschluss klare Aufgaben erhalten: Sie soll dafür sorgen, dass der Lieferverkehr innerhalb des Cityrings künftig nur im Rahmen bestimmter Zeiten möglich ist - beispielsweise durch ausfahrbare Poller, die das Einfahren ohne Zufahrtserlaubnis verhindern, sowie durch intensivere Kontrollen. Darüber hinaus soll sie ein Konzept zur Citylogistik erstellen - mit Lastenrädern und Verteilerstationen. Zufahrten zu öffentlichen Parkhäusern sollen an den Rand des Cityrings gelegt und Straßen zu sogenannten Shared-Space-Zonen umgestaltet werden. Etwa 150 oberirdische Stellflächen sollen zurückgebaut und dafür mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer, für Stadtgrün, Spielflächen und Außengastronomie eingeplant werden. Konkrete Vorschläge erwartet der Gemeinderat bereits zu den im Herbst beginnenden Beratungen zum Doppelhaushalt 2018/2019, damit erste Maßnahmen rasch umgesetzt werden können. Das sei erst der Anfang, betonten die Antragsteller. Weitere Schritte sollen folgen.

Dem Beschluss war eine lebhafte Debatte im Ausschuss vorausgegangen. Grünen-Fraktionschef Andreas Winter verwies darauf, dass die heute Innenstadt das Resultat einer autogerechten Stadtplanung vergangener Jahrzehnte ist. Breite, trennende Verkehrsschneisen wie die „Theo“, die Schiller- und die Konrad-Adenauer-Straße seien aber nicht mehr zeitgemäß. SPD-Stadtrat Hans H. Pfeifer, einst City-Manager der Stadt, teilt die Bedenken des Einzelhandels nicht, das Konzept werde zu einem Ladensterben führen. „Die Kunden kommen in die Stadt, wenn die Aufenthaltsqualität stimmt.“ SÖS-Linke-Plus freut sich nach Worten von Christoph Ozasek über die „bedeutendste Stadtentwicklungsinitiative seit Arnulf Klett in den 1970er-Jahren“.

Ablehnung kam aus dem bürgerlichen Lager. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander Kotz kritisierte das „politische Hau-Ruck-Verfahren“. Die Maßnahmen würden ohne breite Diskussion durchgedrückt. Jürgen Zeeb (Freie Wähler) betonte: „Vom Flanieren allein kann eine Großstadt nicht leben.“ Wenn die Hälfte der Einzelhändler pleite ginge, dann sei das Logistikproblem auch gelöst, unkte Michael Conz (FDP). Eberhard Brett (AfD) stört sich nicht am Verkehr in der Innenstadt: „Wenn auf dem Marktplatz Autos stehen würden, wäre wieder mehr Stimmung.“

Die Bezirksvorsteherin von Mitte, Veronika Kienzle, berichtete Gegenteiliges: Im Bohnen- und im Gerberviertel würden sich die Geschäftsleute für weniger Parkplätze und gesperrte Zufahrten aussprechen. „Das eröffnet die Möglichkeit für urbanes Flair.“