Wer ein Pflegefall wird, kann schnell auf hohen Kosten sitzen. Foto: dpa - dpa

Die Notariatsreform löst immer noch Verzögerungen aus, auch bei der Bestellung von Betreuern. Doch was hat das für Folgen? Stuttgarter Pflegeheime schildern Fälle.

StuttgartUngepflegtes Haar bis über die Schultern, wallender Bart, extrem lange Fußnägel – Reiner H. (Namen der Bewohner geändert) hat ein Einsiedlerleben mitten im Stuttgarter Westen geführt. Dann stürzte er, kam ins Krankenhaus und schnell war dann klar, der 90-jährige Mann kann nicht zurück in seine Wohnung im fünften Stock. Lediglich mit einem Krankenhauskittel bekleidet, ohne jegliches Gepäck, kam der verwahrloste Mann, der keineswegs mittellos ist, Anfang August ins Paulinenstift der Diak-Altenhilfe.

„Er hatte offene Wunden, die sehr aufwendig versorgt werden mussten“, berichtet die Pflegedienstleiterin Dajana Pejic. Nur – von welchem Geld sollten sie die Arzneimittel finanzieren? Weil er privat versichert ist, muss der Pensionär bei Rechnungen für Ärzte und Medikamente in Vorleistung treten. Doch er kann sich nicht mehr selbst um seine Finanzen kümmern und hat keine Angehörigen. Also wurde die Betreuung beantragt. „Die medizinische Versorgung hat uns hier am meisten Sorgen gemacht“, sagt der Hausleiter Eberhard Frei. Er schildert den Fall als Beispiel, wie schnell Menschen in große Not geraten können, wenn von ihnen keine Vorsorge getroffen wurde. Immerhin: Da H. ansprechbar ist, habe er von ihm eine schriftliche Einwilligung einholen können, sodass er Kleidung aus dessen Wohnung holen konnte. Auch der Fall von Liselotte W. ist für das Pflegeheim belastend gewesen – vor allem finanziell. Die psychisch kranke 78-Jährige weigerte sich, ihre Rechnungen zu bezahlen. Ein halbes Jahr habe es gedauert, bis der Betreuer durchs Gericht bestellt war. Von März bis September seien Kosten in Höhe von 27.000 Euro angefallen. „Das war schon heftig“, sagt Frei. Einen Teil werde man sicherlich vom Sozialamt wiederbekommen, aber wohl nicht alles.

Längere Bearbeitungszeiten

Seit Jahresbeginn sind die Amtsgerichte für die Betreuungen und Nachlasssachen zuständig, nicht mehr die Notariate. Weiterhin läuft es vor allem beim Amtsgericht Stuttgart nicht rund. Das Gericht weist im Internet auf die „längeren Bearbeitungszeiten“ hin und bittet darum, „von telefonischen oder schriftlichen Anfragen zum Bearbeitungsstand Ihres Verfahrens“ abzusehen. „Mit der Umstellung war doch vieles verbunden, das uns zurückgeworfen hat in der Bearbeitungsdauer“, sagt Amtsgerichtspräsident Hans-Peter Rumler und verweist unter anderem auf unterschiedliche, nicht kompatible EDV-Systeme, sodass die alten Daten per Hand übertragen werden mussten. Die Reform habe enorme Belastungen mit sich gebracht. Immerhin: Er verzeichnet „Fortschritte“, die Rückstände seien weitestgehend abgearbeitet. „Aber den Routinebetrieb haben wir noch nicht erreicht“, gibt Rumler zu bedenken.

Kosten rückwirkend übernommen

Die Pflegeheime zählen zu den Hauptbetroffenen der Umstellungsphase. Die Schwierigkeit liegt für sie darin, dass das Sozialamt die Heimkosten rückwirkend erst ab Antragstellung übernimmt. Kann sich der Bewohner nicht selbst darum kümmern, muss abgewartet werden, bis der Betreuer bestellt ist. Stirbt der Bewohner in der Zwischenzeit, besteht die Gefahr, komplett auf den Kosten sitzen zu bleiben. Hohe Kosten aufgrund fehlender Betreuungen – das sei schon lange ein Problem, berichtet Joachim Treiber, der Leiter eines Hauses der Caritas in Rot in Zuffenhausen. Sie hätten schon mehrmals ein halbes Jahr überbrücken müssen, um die Heimkosten vom Sozialamt wieder zu bekommen. „Das ist kein Einzelfall“, erläutert Treiber. Die Leitung eines Pflegeheims des Eigenbetriebs Leben und Wohnen berichtet, dass bei Bewohnern Operationen oder medizinische Behandlungen ohne Betreuer teils nicht möglich gewesen seien, weil Einwilligungen fehlten. Oder dass sich Schuldenberge bei Bewohnern anhäufen würden, weil nicht nur die Heimkosten zu stemmen seien, sondern auch die Wohnung nie gekündigt worden sei. Im Paulinenpark stapeln sich außerdem im Keller persönliche Gegenstände von den verstorbenen Bewohnern: Möbel, Porzellan, Fotorahmen. „Das Nachlassgericht hat noch nicht entschieden, deshalb dürfen wir das nicht entsorgen“, sagt Hausleiter Frei.

„Die Notare leiden selbst unter der Situation“, sagt Amtsgerichtspräsident Rumler. Schließlich wüssten sie, was die Verzögerungen bedeuteten und was das nach sich ziehe, nicht nur bei den Pflegeheimen. Aber: Mehr als anstrengen könne man sich nicht. „Es wird immer besser“, sagt Rumler, der den Routinebetrieb „im Laufe des nächsten Jahres“ erwartet. Auch Heimleiter Treiber hat das Gefühl, dass sich etwas tut. Am schwierigsten sei ohnehin 2017, also das Jahr vor der Umstellung gewesen, da seien die Bearbeitungszeiten noch mal viel länger gewesen. Der Heimleiter vom Paulinenpark vernimmt Signale, dass es aufwärts geht. So sei es im Fall von Reiner H. vergleichsweise zügig gelaufen. Mitte Oktober wurde der Betreuer bestellt, „enorm schnell“ im Vergleich zu den Erfahrungen in den Monaten zuvor.

Vorsorgevollmacht

Vorsorgevollmacht: Die Vollmacht kann eine rechtliche Betreuung vermeiden.

Vorsorge: Jeder volljährige Bürger sollte wissen, dass ein Ernstfall eintreten und man sich nicht mehr um die eigenen Belange kümmern kann. Ein Unfall kann im jungen Alter dazu führen, dass Finanzen nicht mehr geregelt werden können. Wer vermeiden will, dass ein gesetzlicher Betreuer vom Betreuungsgericht bestimmt wird, kann eine Vorsorgevollmacht ausstellen. Damit bevollmächtigt man eine Person, bei einer Notlage Aufgaben für den Vollmachtgeber zu erledigen. Beratung gibt es bei den Betreuungsvereinen.

Patientenverfügung: Die Vorsorgevollmacht ist nicht mit der Patientenverfügung zu verwechseln. In Letzterer regelt man, was etwa im Fall unheilbarer Krankheit geschehen soll wie lebensverlängernde Maßnahmen oder nicht.

Termin: Informationen gibt am Donnerstag, 22. November, von 15 bis 16.30 Uhr Roland Rieker vom Betreuungsverein des Sozialdiensts katholischer Frauen im Haus der Katholischen Kirche.