Der S-Bahn-Chef Dirk Rothenstein will Fahrgäste künftig besser informieren. Dazu setzt er auf kostenloses WLAN in den Zügen, die App „Streckenagent“ und auf exaktere, auf den Zug bezogene Durchsagen. Foto: Gottfried Stoppel Quelle: Unbekannt

Stuttgart – Heute in einer Woche findet der nächste S-Bahn-Gipfel beim Verband Region Stuttgart statt. Einmal mehr lautet das Thema: die Zuverlässigkeit des öffentlichen Nahverkehrs. Auch Dirk Rothenstein, Vorsitzender der S-Bahn Stuttgart, kennt die Probleme. Er ist jedoch überzeugt, dass das Verkehrsmittel besser als sein Ruf ist. Ein Knackpunkt sei bei Verspätungen die Information von Fahrgästen. Sie soll deutlich verbessert werden.

Von Sebastian Steegmüller
Mit Hamburg und Berlin dürfe man die Stuttgarter S-Bahn nicht vergleichen, schließlich seien dort die Züge autark, sprich auf eigenen Schienen unterwegs und müssen sich die Gleise nicht mit Regional- und Fernverkehr teilen. Ansonsten brauche man sich bundesweit nicht zu verstecken. Im Durchschnitt sind 88,3 Prozent aller S-Bahnen am Tag weniger als drei Minuten zu spät, 97 Prozent weniger als sechs Minuten. Damit liege man vor München und der S-Bahn Rhein-Main, so Rothenstein, der mit den Werten nicht zufrieden ist. Schließlich werden die mit dem Verband Region Stuttgart vereinbarten Ziele nicht erreicht. „Die Kritik ist gerechtfertigt.“ Vor allem die Stammstrecke durch die Innenstadt sei zur Hauptverkehrszeit die Achillesferse. Sie wurde in den 1970er-Jahren für 270 000 Fahrgäste am Tag ausgelegt, mittlerweile werden 400 000 Personen transportiert. „Sie ist ausgelastet.“ Die Vorgabe, dass 91,5 Prozent der Züge maximal drei Minuten Verspätungen haben, verfehle man am Morgen und am Nachmittag deutlich. Nur vier von fünf S-Bahnen erreichen dieses Zeitfenster. 2009 waren es 88 Prozent. „Momentan liegen wir davon weit weg“, sagt Rothenstein, der jedoch relativiert: Selbst wenn der Zug in der absoluten Rushhour mit nur dreieinhalb Minuten Verspätung durch die Innenstadt unterwegs sei, erfülle er das Ziel nicht. „Autofahrer wären zufrieden, wenn sie so zügig durchkommen.“
Zu lange Wartezeiten
Ein Problem, das die Fahrgäste verärgert, ist, dass durch die geringen Verspätungen oftmals der weiterführende Bus oder Zug nicht erreicht wird und Wartezeiten von mehr als 30 Minuten an Haltestellen in der Region die Folge sind. Ein Schmetterlingseffekt, der eigentlich hausgemacht ist. Ein Beispiel ist Filderstadt: Wer dort an der Haltestelle umsteigen will, hat sechs Minuten Zeit, braucht aber für den Fußweg schon drei. „Das ist sehr knapp“, so Rothenstein. Laut einer Untersuchung führt eine fünfminütige Verspätung der S-Bahn schon dazu, dass 40 Prozent der Fahrgäste ihre Anschlüsse nicht mehr erreichen. „Die verschiedenen Systeme sind immer enger mit einander verwoben.“ Gemeinsam mit den anderen Verkehrsbetrieben müsse man die Anschlüsse optimieren, damit die Reisekette sichergestellt werde.
München geht einen anderen Weg, um die Verspätungen zu minimieren: In der bayerischen Landeshauptstadt wird eine zweite Stammstrecke gebaut. Stuttgarts S-Bahn-Chef würde sich gegen solch ein Projekt in der Landeshauptstadt natürlich nicht wehren, sieht aber dafür eigentlich keine Möglichkeiten im Talkessel. Eine gewisse Entlastung erhofft er sich stattdessen durch die Fertigstellung des Milliardenprojekts Stuttgart 21, insbesondere durch den Schnellzug zum Flughafen. „Dort entsteht eine große Drehscheibe. Wir sind heute die Einzigen, die direkt aus der Stadt hochfahren. Später werden der Region- und der Fernverkehr sowie die Stadtbahn dort halten.“
Derzeit benötige man 25 Minuten vom Hauptbahnhof, mit dem direkten Zug später acht. „Da fährt keiner mehr mit der S-Bahn.“ Wie viele Fahrgäste unterm Strich wegfallen, sei noch nicht absehbar. „Wir sind hier in einer Wachstumsregion, perspektivisch gesehen, ist dieser Rückgang dann auch wieder ausgeglichen.“
Mit Blick auf den prognostizierten Bevölkerungsanstieg und auch auf drohende Fahrverbote, die für einen Anstieg der Fahrgäste sorgen könnten, kommt dem S-Bahn-Chef die Stammstrecke durch die Innenstadt wieder in den Sinn. Denn auch hier werden Tag für Tag immer mehr Kunden begrüßt. Die Puffer sind jedoch aufgebraucht. Sechs Linien teilen sich ein Gleis, fahren im Abstand von zweieinhalb Minuten eine Haltestelle an. Dort soll das Ein- und Aussteigen maximal 30 Sekunden dauern, sonst drohen Verspätungen. Das Problem ist in erster Linie der Mensch: Er verteilt sich nicht gleichmäßig auf dem Bahnsteig, sondern meist am Anfang und Ende des Zuges. Am Hauptbahnhof setzt man im Rahmen eines Pilotprojekts auf entsprechende Markierungen, um die Haltedauer zu verkürzen. Außerdem setze man auf S-Bahn-Helfer. „Seit 2013 haben wir die Überschreitung der Haltezeit knapp halbiert.“ Große Stücke setzt Rothenstein auch auf die Modernisierung der Signaltechnik. „Mit ECTS könne man einige Sekunden sparen.“ Den Vorwurf, dass man das Netz verlottern lasse, weist er indes zurück. „Die Zahl der Störungen ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen.“
Dennoch wird man sich auch in den kommenden Jahren auf Verspätungen einstellen müssen. Mit Blick auf die zahlreichen Baumaßnahmen in der Region muss man dafür kein Prophet sein. Zumal durch die Übergabe der Stuttgarter Netze künftig private Konkurrenz mitmischen wird. „Das wird die Planungen und Absprachen sicherlich nicht erleichtern.“ Beispielsweise bei der Erstellung von Baustellenfahrplänen. „Wichtig ist, dass die Kundeninformation deutlich verbessert wird. Und zwar im Störungsfall nicht pauschal, sondern auf den jeweiligen Zug bezogen. Der Fahrgast will nicht wissen, welche Weiche irgendwo kaputt ist, sondern wie er weiterkommt.“ Unter anderem werde dazu auf kostenloses WLAN in S-Bahnen und die App „Streckenagent“, mit der man einzelne Züge verfolgen und sich bei Verspätungen benachrichtigen lassen kann, gesetzt. Außerdem werden vier Mitarbeiter eingestellt, die für konkretere Durchsagen an Bahnsteigen und in Zügen zuständig sein werden. Auch die Anzeigetafeln an Haltestellen seien nicht mehr zeitgemäß. „Es kann zum Beispiel nicht sein, dass einem erst im Hauptbahnhof tief mitgeteilt wird, dass die S-Bahn oben abfährt.“