Auf der Linie 2 am Stuttgarter Westbahnhof um 1915: Schaffnerin Martha Fuchs inmitten verbliebener männlicher Straßenbahner. Foto: Sammlung Erwin Gayer Quelle: Unbekannt

Stuttgart (dpa/eh) - Einst nannte Bundeskanzlerin Merkel das Bahnprojekt Stuttgart 21 alternativlos. Doch auch sieben Jahre nach dem offiziellen Baubeginn sind die Menschen im Großraum Stuttgart noch offen für andere Ideen. Eine Umfrage zeigt ein erstaunlich großes Interesse am Umstiegskonzept der Projektgegner.

Für eine Mehrheit der Baden-Württemberger ist der Umbau des heutigen Hauptbahnhofes in eine unterirdische Durchgangsstation keinesfalls alternativlos: Bei einer gestern vorgestellten Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Infratest Dimap wünschten sich 63 Prozent der insgesamt 1000 Befragten, dass die Projektpartner das Umstiegskonzept der Gegner ernsthaft prüfen. Selbst ein Teil derer, die dem Milliardenprojekt grundsätzlich zugetan sind, sprechen sich dafür aus. In der vom Berliner Professor Peter Grottian in Auftrag gegebenen Umfrage plädierte jeder zweite Befürworter dafür, sich den Alternativentwurf genauer anzuschauen. Wie berichtet, sieht das vor knapp einem Jahr vorgestellte Umstiegskonzept des Bündnisses vor, den bestehenden Kopfbahnhof mit seinen 16 Gleisen zu erhalten und zu modernisieren. 31 Prozent der Befragten halten eine solche Prüfung für nicht erforderlich, der Rest machte keine Angaben.

Im Gegensatz dazu stehe, dass weiter 49 Prozent der Befragten das Projekt „im Großen und Ganzen für richtig“ hielten, räumte Norbert Bongartz, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, ein. Bei einer Umfrage im Jahr 2011 hatten sich 50 Prozent der Befragten positiv zur Neuordnung des Stuttgarter Bahnknotens geäußert. Der Anteil der Menschen, die das Vorhaben als falsch erachten, stieg von damals 35 Prozent auf heute 41 Prozent.

Das Ergebnis der Volksabstimmung im November 2011 für den Weiterbau des umstrittenen Projektes hielten auch im Januar dieses Jahres 54 Prozent der Befragten für verbindlich - und das, obwohl in der Frage ausdrücklich auf die seitdem eingetretene Kostenexplosion hingewiesen wurde. Das Vorhaben soll laut Bahn bis zu 6,5 Milliarden Euro kosten. Aktuelle Gutachten sehen die Kosten aber sogar auf bis zu zehn Milliarden Euro hochschnellen. Im Jahr 2011 lag der Kostendeckel offiziell noch bei 4,5 Milliarden Euro.

Grottian resümierte, es gebe keinen Aufstand gegen die „hochverehrte Volksabstimmung als demokratisch gültige Regelungsinstanz“. Auf der anderen Seite sei die Sehnsucht parteiübergreifend groß, dass Bahn, Bund, Land und Stadt Alternativen, die vielleicht preiswerter und klüger seien, unter die Lupe nähmen. Der bei der Umfrage ermittelte starke Wunsch nach einer ernsthaften Prüfung von Alternativen zu Stuttgart 21 ist laut Bongartz „ein deutliches nach vorn weisendes Signal an die Politik, sich ernsthaft mit dem Umstiegskonzept auseinanderzusetzen“ und das Mantra des „Weiter-so“ infrage zu stellen.

Politologe Grottian wollte wissen, wie sich die Stimmung zum Vorhaben zwischen 2011 und 2017 verändert hat. Die Kosten der Umfrage bestreitet er nach eigenen Angaben aus eigenen Forschungsmitteln. Befragt wurden Ende Januar 1000 Wahlberechtigte aus dem erweiterten Großraum Stuttgart, der von Heilbronn bis Ulm reichte.