Klaus Lang von Haus & Grund, Michael Voigtländer vom Institut für Wirtschaft in Köln und Rolf Gaßmann vom Mieterverein (von links). Fotos: Steegmüller Quelle: Unbekannt

Von Sebastian Steegmüller

Stuttgart - Dass der Wohnungsmarkt in der Landeshauptstadt angespannt ist, ist wahrlich kein Geheimnis. Sowohl der Eigentümerverein als auch der Mieterverein wollten jedoch wissen, wie prekär die Lage wirklich ist, und haben gemeinsam eine Bedarfsanalyse erstellen lassen. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln kommt zu dem Schluss, dass jährlich mehr als 5100 neue Wohnungen benötigt werden - dreimal mehr als von der Stadt vorgesehen.

„Die Diskrepanz ist unglaublich hoch“, so Klaus Lang, der Vorsitzende von Haus & Grund. Die Zielvorgabe der Stadt - 1800 neue Wohnungen pro Jahr - sei dem Oberbürgermeister Fritz Kuhn wohl eines Nachts eingefallen. „Sie ist durch keine Erhebung gestützt.“ Schon seit Jahren würden sowohl der Eigentümer- als auch der Mieterverein darauf hinweisen, dass der Wert zu niedrig ist. Die Folge: Die angespannte Lage am Stuttgarter Wohnungsmarkt habe sich verfestigt und weiter verschärft. „Die wiederholte Forderung nach einer detaillierten Bedarfsanalyse blieb bei der Stadtspitze jedoch ungehört.“

Statt ewig weiter mit erhobenem Zeigefinger zu mahnen, habe man daher nun selbst solch eine Untersuchung bei Professor Michael Voigtländer, Leiter des Kompetenzfelds Finanz- und Immobilienmärkte im Institut der deutschen Wirtschaft Köln, in Auftrag gegeben. Sie soll eine Initialzündung in Richtung des Gemeinderates darstellen. Die Einschätzung des Experten: „Der Baubedarf in Stuttgart liegt jährlich bei 5167 Wohnungen.“ Auch ohne die Berücksichtigung von Flüchtlingen, die erst nach und nach wohnungsmarktrelevant werden, reiche die Bautätigkeit bei Weitem nicht aus. „Es besteht eine große Abweichung“, sagt Voigtländer. Aus der Lücke von Bautätigkeit und Nachfrage resultiere ein fortgesetzter Preisdruck auf Wohneigentum und Mieten. „Auch im Bereich der Sozialwohnungen wird das Ziel von 600 weit verfehlt.“ In den vergangenen drei Jahren habe man diesen Wert nicht einmal zusammengerechnet erreicht. Die Wohnungsnot würde zwar für alle Großstädte eine große Herausforderung darstellen. Im Vergleich zu anderen Metropolen werde in Stuttgart jedoch zu wenig Bauland erschlossen. „Es ist kaum etwas in der Pipeline, keine Reserven da, die schnell nachgeschoben werden können.“ Wenn in der Landeshauptstadt nichts passiert, würde es einen elitären Schnitt geben. „Gerade deutsche Haushalte, die längerfristige Perspektiven haben, suchen nach Alternativen.“ Sprich, eine soziale Durchmischung ist nicht mehr möglich, die Spannung innerhalb der Bevölkerung steigt, Familien wandern ins Umland ab.

„Die Analyse unterstreicht, dass die Bautätigkeit in Stuttgart deutlich zu wenig ambitioniert ist und den bestehenden Bedarf bei Weitem nicht deckt“, so Lang. Rolf Gaßmann, der Vorsitzende des Mietervereins, fügte hinzu, dass es nicht nur um irgendwelche Zahlenspiele geht, sondern um die Attraktivität des Standorts. „Wohnungsbau braucht in unserer Stadt nicht salbungsvolle Worte, sondern Taten“, so Lang und Gaßmann unisono. „OB Kuhn und der Gemeinderat müssen in mehrfacher Beziehung den Schalter umlegen, um die Bautätigkeit anzukurbeln.“ Man benötige wie in Hamburg ein Bekenntnis zur wachsenden Stadt. Dazu müsse man in die Höhe aber auch in die Breite verdichten. „Nicht jeder Acker ist für die Ökologie dermaßen wichtig“, betonte Gaßmann, dem Lösungen mit begrünten Flachdächern vorschweben. „Jeder Grashalm steht in Stuttgart unter Naturschutz. Wenn ich etwas ändern will, muss ich bauen“, sagte Lang. Er unterstrich zudem, dass höhere Gebäude in Stuttgart kein Tabuthema bleiben dürfen. „Wir wollen kein Manhattan, aber in Frankfurt sind derzeit 40 Hochhäuser in Planung.“

Dass die beiden Vereine, die eigentlich unterschiedliche Interessen vertreten, jetzt gemeinsam aktiv werden, verdeutliche die Brisanz. „Für Haus & Grund ist dieser Schritt nicht selbstverständlich“, sagte Lang. „Je höher die Mieten sind, umso besser könnte es eigentlich für unsere Mitglieder sein.“ Der Chef des Eigentümervereins sieht jedoch die Entwicklung der Stadt in Gefahr. Eine Haltung, für die er von Gaßmann Anerkennung erhält. „Eigentlich sollte OB Kuhn so agieren, er schützt mit seiner Politik jedoch in erster Linie die Eigentümer.“