Quelle: Unbekannt

Sein privates Auto hat Fritz Kuhn abgeschafft. „Ich bin eher der Carsharing-Typ“, sagt der Stuttgarter Oberbürgermeister und bezeichnet sich als den Ersten, der das Thema Luftverschmutzung durch ältere Autos „nicht mehr hälinga unter den Teppich gekehrt hat“.

StuttgartSein privates Auto hat Fritz Kuhn abgeschafft. „Ich bin eher der Carsharing-Typ“, sagt der Stuttgarter Oberbürgermeister und bezeichnet sich als den Ersten, der das Thema Luftverschmutzung durch ältere Autos „nicht mehr hälinga unter den Teppich gekehrt hat“.

Herr Kuhn, welche Neujahrsbotschaft haben Sie für Euro-4-Dieselfahrer?
Ich habe keine Neujahrsbotschaft, sondern eine Sachlage, mit der wir zurechtkommen müssen. Das höchste deutsche Gericht hat abschließend geurteilt, dass wir wegen der Überschreitung der Grenzwerte bei Stickstoffdioxid ab dem 1. Januar 2019 Dieselfahrzeuge Euro 4 und schlechter ganzjährig in der gesamten Stadt verbieten müssen, weil man den Gesundheitsschutz nicht hintanstellen darf. Für Stuttgarter gilt das Verbot ab dem 1. April. Das ist schmerzhaft für die Betroffenen, das verstehe ich, aber die Frage der Luftreinhaltung im Stadtgebiet ist nicht irgendeine Frage. Deshalb hat das Land, das für die Fahrverbote verantwortlich ist, gehandelt. Wir schauen als Stadt, dass wir die Vorgaben so gut wie möglich umsetzen und dass die Leute das auch verstehen.

Ihre Partei hat Fahrverbote dennoch verzögert. Wie groß ist der Spagat, den Sie als Grüne zwischen Interesse der Autoindustrie und Gesundheitsschutz machen?
Wie kommen Sie denn da drauf? Ich hätte Fahrverbote gerne vermieden, durch Einhaltung der Grenzwerte. Im Übrigen, nicht das Verbot ist grünes Ziel, sondern saubere Luft. Hier gibt es jetzt eine positive Botschaft: Wir haben es beim Feinstaub zum ersten Mal geschafft, dass wir die Grenzwerte einhalten. Das hätte ich beim Stickstoffdioxid auch gerne. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir überschreiten da den Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm nicht nur am Neckartor, sondern auch an anderen Stationen deutlich.

Erwartet die Euro-5-Fahrer 2019 auch ein Fahrverbot?
Das liegt vor allem an der Frage der Nachrüstung. Wenn wir durch Nachrüstung und andere Maßnahmen beim Stickstoffdioxidwert um 20 Mikrogramm runterkommen, sind wir schon bei 50 Mikrogramm. Das bedeutet aber, dass mit der technischen Nachrüstung sofort begonnen werden muss und nicht erst 2020, wie Bundesverkehrsminister Scheuer sich das vorstellt. Ich bin noch immer stinksauer auf die Bundesregierung, weil sie lange Zeit einen viel zu laschen Umgang mit der Automobilindustrie gepflegt hat. Dadurch haben wir viele Jahre verloren. Die Oberbürgermeister der deutschen Städte haben die Nase voll, dass das Versagen der Automobilindustrie, angefeuert durch das Versagen der Bundesregierung, jetzt bei den Städten abgeladen werden soll.

Würde der Privatmann Fritz Kuhn noch einen Diesel kaufen?
Ich bin eher der Carsharing-Typ. In der Regel gehen wir zu Fuß oder fahren mit der Stadtbahn. Wir haben unser Auto verkauft und sind jetzt bei Stadtmobil. Auch wenn ich nicht OB wäre, würden wir trotzdem kein eigenes Auto anschaffen. Das ist ja auch nicht ökonomisch. Wenn man rechnet, was das alles kostet: Garagenmiete, Versicherung, Steuern. Außerdem sind Car2go und Stadtmobil leicht zu nutzen: Du mietest dir das Auto, das du gerade brauchst. Dieser Trend nimmt zu. Das sehe ich auch bei meinen Söhnen. Beide haben kein Auto, wozu auch? Das sehen die übrigens völlig unideologisch. Aber natürlich gibt es Leute, die unbedingt ein Auto brauchen. Dafür hab ich Verständnis.

Viele Leute fragen sich, warum Stuttgart nicht längst die Modellstadt für moderne Mobilität ist.
Ich bin mir sicher, dass wir das werden. Es gibt ja schon viele positive Ansätze in Stuttgart. Was wir gerade erleben, sind Geburtswehen, etwa im Übergang zur Elektromobilität. Wir kaufen im Moment nur vollelektrische Autos für die Stadt – und zwar von einem französischen Hersteller, weil unsere hiesigen Firmen noch kein adäquates Angebot haben. Das kann doch nicht sein in der Autostadt Stuttgart.

Also sind die hiesigen Autohersteller doch nicht bereit für den Wandel?
Sie arbeiten mit Hochdruck daran. Daher sage ich auch, dass wir in Stuttgart die Bedingungen für den Mobilitätswandel erfüllen: eine starke Automobilindustrie, starke Forschungseinrichtungen und viele Bürger, die bereit sind zum Umsteigen. Unsere Probleme kommen aber auch durch die Pendler aus der Metropolregion. Am 22. Januar veranstalten wir zum ersten Mal einen großen Kongress mit den Regionalverbänden und Kommunen zur nachhaltigen Mobilität in der Metropolregion.

Wird es bis dahin noch einen Feinstaubalarm geben? Die CDU fordert ja seine Abschaffung zum Jahreswechsel.
Wir werden den Feinstaubalarm wie geplant weitermachen bis Mitte April. Da hängen ja auch das Verbot der Komfortkamine und das Feinstaubticket des VVS dran, das können wir nicht mittendrin ändern. Und im April kommt die große Tarifreform beim VVS. Das ist ein riesiges Projekt, um den ÖPNV attraktiver zu machen. Danach will ich eine Bilanz des Feinstaubalarms ziehen. Sicher ist aber: Wir haben die Stadt mit dem Feinstaubalarm aufgeweckt. Deswegen nehme ich für mich in Anspruch, dass ich der Erste war, der das Thema nicht mehr hälinga unter den Teppich gekehrt hat.

Wie groß war der Faktor Glück?
Das ist schwer zu beurteilen. In jedem Fall haben wir 2018 den Feinstaubgrenzwert eingehalten. Wir werden wohl irgendwo zwischen 20 und 25 Überschreitungstagen landen. Erlaubt sind 35. Voriges Jahr hatten wir 41 Überschreitungstage. Und wir werden auch noch bei den Stickoxiden die Grenzwerte erreichen.

Was macht Sie so optimistisch? Immerhin hat die Polizei angekündigt, dass sie die Einhaltung der Fahrverbote im Januar nicht kontrollieren und auch nicht sanktionieren wird.
Fakt ist, das Fahrverbot gilt! Ich gehe davon aus, dass sich Bürger an die Rechtsvorschriften halten.

Auch wenn sie nicht kontrolliert werden?
Was für eine Haltung zum Rechtsstaat steckt hinter dieser Frage? Ich bin davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bürger rechtskonform lebt. Es wird ja auch kontrolliert.

Aber es wird keine Sanktionen geben.
Wir als Stadt sind ausschließlich für den ruhenden Verkehr zuständig. Am Anfang werden wir ermahnend kontrollieren. Es wäre ein falsches Zeichen, wenn wir gleich am 1. Januar 80 Euro Bußgeld verlangen, nur damit die Stadtkasse sich füllt. Stattdessen agieren wir anfangs nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Und später wird es dann kosten.

Wäre nicht die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets wie in Wien für die Nutzung aller Verkehrsoptionen in der Stadt eine noch einfachere Lösung?
Wir haben jetzt mit 42 Millionen Euro jährlicher Kosten eine gigantische ÖPNV-Tarifreform beschlossen, die für viele die Tickets erheblich billiger und einfacher macht. Im nächsten Schritt brauchen wir neue Züge. Wenn die Kapazitäten groß genug sind, könnten wir den übernächsten Schritt gehen und, sofern das Land diese Option freischaltet, eine Nahverkehrsabgabe für Autofahrer einführen, die dann ein ÖPNV-Ticket beinhaltet. Dann kann jeder selbst entscheiden, welches Verkehrsmittel er nutzt. Und ich bin davon überzeugt, dass der Schwabe den Nahverkehr viel stärker nutzen wird, wenn er das Ticket schon mal hat.

Werden wir diese Nahverkehrsabgabe noch in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Kuhn erleben?
Ich hoffe schon.

Das Interview führten Holger Gayer und Jan Sellner.

Zur Person

Oberbürgermeister: Fritz Kuhn ist 2012 zum Stuttgarter OB gewählt worden. Seine erste Amtszeit endet 2020. Ob er noch einmal antritt, ist offen. Er will sich bis Ende 2019 entscheiden und seinen Entschluss Anfang 2020 bekannt geben.

Partei: Ursprünglich war Kuhn Mitglied der SPD. Seit 1980 gehört er den Grünen an. Er war sowohl im baden-württembergischen Landtag als auch im Bundestag Fraktionsvorsitzender – und von 2000 bis 2002 auch Chef der Bundespartei.

Privates: Fritz Kuhn wurde am 29. Juni 1955 in Bad Mergentheim geboren. Aufgewachsen ist er in Memmingen. Kuhn ist verheiratet mit der früheren Landtagsabgeordneten der Grünen, Waltraud Ulshöfer. Die beiden haben zwei erwachsene Söhne.