Entspannte Atmosphäre bei der Kontrolle am Hauptbahnhof. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Im Rahmen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit sind am Donnerstag bundesweit Tausende Zollfahnder zu Baustellen ausgerückt. In Stuttgart lag der Fokus auf dem Hauptbahnhof.

StuttgartDer Anblick ist durchaus beeindruckend. 65 Beamtinnen und Beamten des Hauptzollamts Stuttgart, mit Arbeitsschutzhelmen und Warnwesten ausgestattet, marschieren am Donnerstagmorgen um 8.15 Uhr unangekündigt auf die Großbaustelle des Stuttgart-21-Bahnhofs. Eine verdachtsunabhängige Aktion gegen Schwarzarbeit, illegale Ausländerbeschäftigung und gegen Mindestlohnverstöße steht an. Auf dem weitläufigen Gelände angekommen, teilt sich die uniformierte Gruppe. Ein Trupp nimmt mehrere polnische Arbeiter unter die Lupe, die an Betonverschalungen unter den Kelchstützen arbeiten. Eine andere Einheit rückt türkischen Eisenflechtern auf die Pelle.

So gut wie alles wird abgefragt: Name, Firma, Wohnort, Arbeitszeiten, wie heißt der Chef, wie hoch ist der Stundenlohn, und gibt es den bar oder aufs Konto? Die Papiere werden überprüft, alles geht ruhig vonstatten. Geredet wird mit Händen und mit Füßen, ein polnischer Arbeiter mit rudimentären Deutschkenntnissen hilft dabei seinen Kollegen. Stanislaw sagt, er arbeite schon 24 Jahre für die gleiche polnische Baufirma, sein Stundenlohn betrage 15,20 Euro. Das ist der Mindestlohn, der auf dem Bau gezahlt werden muss. „Alles okay so weit“, erläutert die junge Beamtin – vorerst.

Die Angaben werden im Nachklapp nochmals überprüft und abgeglichen. „Wenn man 50 Arbeiter auf einer Baustelle hat und jeder arbeitet eine Stunde länger, als er angibt, dann kommt schon ganz schön was zusammen“, gibt Thomas Seemann, Sprecher des Hauptzollamts Stuttgart, zu bedenken. Seit die S-21-Arbeiter einen Baustellenausweis mit Foto, Einsatzort und QR-Code mitführen müssten, habe sich die Lage auf der Bahnhofsbaustelle entspannt, erklärt der Einsatzleiter Elmar Leonbacher. Das war nicht immer so. „Am Anfang, als der Nordflügel abgerissen wurde, haben wir auch kontrolliert“, sagt Seemann. Von 20 Arbeitern seien damals immerhin zwölf nicht angemeldet gewesen. „Das war ein Warnschuss“, sagt Seemann. Seither habe die Bahn ein wachsameres Auge auf die Firmen.

Zwei der türkischen Armierungsarbeiter tragen Jeans statt Arbeitshosen. „Da könnte ein Verdacht auf illegale Beschäftigung aufkommen“, sagt Seemann. Einsatzleiter Elmar Leonbacher nickt. Sind die Männer kurzfristig ohne Papiere auf die Baustelle geholt worden? „Wir hatten auf einer Baustelle schon einmal Arbeiter in Flip-Flops, da konnte etwas nicht stimmen“, betont Thomas Seemann. Hier ist aber alles in Ordnung. Es wird gelacht, alle sind freundlich, mancher Arbeiter bedankt sich sogar und schüttelt den Zollfahndern die Hand.

Es scheint sich positiv auszuwirken, dass mehrere Beamtinnen im Einsatz sind. „Die Kolleginnen sind unsere Eisbrecherinnen, wenn es mal unangenehm wird“, erläutert Thomas Seemann – charmante Eisbrecherinnen mit Handschließen, Pfefferspray und einer Neun-Millimeter-Pistole am Gürtel.

Nüchterne Zahlen belegen, wie wichtig der Einsatz des Zolls ist. Im vergangenen Jahr hat das Hauptzollamt Stuttgart im Rahmen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) knapp 5295 Personen und 1170 Arbeitgeber überprüft. Daraus resultierten 2615 Strafverfahren. Die Summe der Geldstrafen beläuft sich auf 452 000 Euro. An Geldbußen flossen sogar 4,8 Millionen Euro in den Staatssäckel. „Die von uns ermittelte Schadenssumme durch Schwarzarbeit lag im vergangenen Jahr bei 12,5 Millionen Euro“, sagt Thomas Seemann. Bundesweit sind es knapp zwei Milliarden Euro.

Plötzlich kommt kurz Hektik auf. Ein Arbeiter soll vor den Uniformierten das Weite gesucht haben. Das Ganze entpuppt sich aber als Missverständnis. Nach gut zwei Stunden ist der Einsatz auf der S-21-Baustelle vorbei. Am Nachmittag geht es für die Zollfahnder weiter auf Baustellen in Untertürkheim, in Bad Cannstatt, Denkendorf und Gerlingen. Am Ende wurden auf den verschiedenen Baustellen 217 Personen überprüft. Lediglich ein Bußgeldverfahren wurde eingeleitet. In einigen Fällen sind weitere Prüfungen notwendig. „Hier liegen Anzeichen auf Mindestlohnverstöße und illegale Arbeitnehmerüberlassung vor“, teilt das Hauptzollamt mit. Zum Abschied sagt Einsatzleiter Leonbacher dem türkischen Firmenchef, dessen Vorarbeiter wolle in Rente gehen. „Rente erst, wenn Stuttgart 21 fertig ist“, sagt der Chef. Der Vorarbeiter schüttelt den Kopf: „So lang? Oje, oje.“

Der Zoll in Zahlen

Hauptzollamt: Knapp 150 Ermittlerinnen und Ermittler arbeiten im Hauptzollamt Stuttgart; es soll weiter aufgestockt werden. Im vergangenen Jahr haben die Zollfahnder knapp 5300 Personen im Rahmen der Finanzkontrolle Schwarzarbeiter befragt. Aus den Überprüfungen ergaben sich 2615 Strafverfahren, wovon mittlerweile 2421 abgeschlossen wurden. Die Summe aus den Geldstrafen und Gerichtsurteilen betrug 452 000 Euro.

Freiheitsstrafen: Bei den Gerichtsverfahren, die aus der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) resultierten, wurden insgesamt 35 Jahre an Freiheitsstrafen ausgesprochen.

Schaden: Der Gesamtschaden, der unter anderem durch Schwarzarbeit entstanden ist, lag 2018 im Zuständigkeitsbereich des Hauptzollamts Stuttgart bei 12,5 Millionen Euro.

Bundesweit:Allein in den beiden vergangenen Jahren hat der Zoll bei seinen Kontrollen im Bereich Schwarzarbeit Schäden von 1,8 Milliarden Euro festgestellt. Er hat im vergangenen Jahr außerdem deutlich mehr Verstöße gegen das Mindestlohngesetz aufgedeckt.