Hier ein Hund der Rasse "American Staffordshire Terrier". Diese und die folgenden Rassen fallen in Baden-Württemberg unter die Kampfhundeverordnung und werden als gefährlich eingestuft. Mehr dazu... Foto: dpa - dpa

Stuttgart – Im Kreis Sigmaringen ist am Mittwoch eine 72-jährige Frau auf tragische Weise ums Leben gekommen: Sie wurde von einem Hirtenhund totgebissen. Die Bestürzung ist groß, Maßnahmen werden gefordert. Unter anderem schlägt die Tierschutzorganisation Peta vor, einen Hundeführerschein einzuführen. Auch im Stuttgarter Rathaus nimmt man in erster Linie die Halter in die Pflicht. Ordnungsbürgermeister Martin Schairer ist jedoch überzeugt, dass das System sich bewährt habe. "Es ist gut und verlässlich.“

Von Sebastian Steegmüller

Die Zahl der Kampfhunde, die in Stuttgart leben, ist in den vergangenen drei Jahren von 59 auf 70 leicht angestiegen. Allein 2016 mussten 45 Tiere – 29 Kampfhunde und 16 Hunde anderer Rassen – zur sogenannten Verhaltensprüfung antreten. Im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren immer noch ein deutlich erhöhter Wert, schließlich waren es seit 2009 durchschnittlich 20,6 Kampfhunde. Das Erfreuliche jedoch: Alle Tiere haben den „Wesenstest“ bestanden.

Und dennoch lässt sich nie ganz ausschließen, dass Menschen gebissen werden. Anfang Februar wollte ein 23 Jahre alter Mann an einer Stadtbahnhaltestelle in Bad Cannstatt zwei kämpfende Hunde trennen und wurde am Arm verletzt. In eine deutlich brenzligere Lage geriet indes am 22. Mai ein 26-Jähriger, als er den Rottweiler einer Bekannten Gassi führte. Auf einem Feldweg in Fellbach tickte das Tier beim Spielen plötzlich aus und attackierte den Mann. Er wurde schwer verletzt. Möglicherweise hätte der Vorfall noch schlimmer enden können, wenn nicht Anwohner durch seine Schreie aufmerksam geworden und ihm zur Hilfe geeilt wären. Ein Nachbar packte den Verletzten, zerrte ihn in sein Auto und entschärfte so die Situation.


Das einjährige Tier hatte zuvor noch nie solch ein Verhaltensmuster an den Tag gelegt. Natürlich wurde dennoch das zuständige Ordnungsamt darüber unterrichtet. Bei einer Attacke auf Stuttgarter Gemarkung wäre das Amt für Lebensmittelüberwachung, Verbraucherschutz und Veterinärwesen zuständig. Deren Experten werden vom Amt für öffentliche Ordnung in zahlreichen Fällen als Sachverständige in Tierschutzfragen hinzugezogen. Dazu zählt auch, die potenzielle Gefahr, die von Tieren ausgeht, einzustufen. „Dabei handelt es sich überwiegend um Hunde“, sagt die Amtstierärztin Anna Laukner.
Im Vordergrund stehen dabei sogenannte Kampfhunde. Dazu zählen in Baden-Württemberg unter anderem American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pit Bull Terrier. „Für diese drei Rassen beziehungsweise deren Mischlinge ist eine standardisierte Verhaltensprüfung obligatorisch.“ Ein Bullmastiff, eine Bordeaux Dogge oder auch ein Kangal, dieser Rasse gehörte der Hirtenhund aus Sigmaringen an, haben zwar ein imposantes Erscheinungsbild. „Sie müssen nur einer Verhaltensprüfung unterzogen werden, wenn sich der Verdacht ergibt, dass der jeweilige Hund eine Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen oder Tieren darstellt.“ Gleiches gilt auch für den Rottweiler aus Fellbach: „Jeder sonstige Hund, der dem Ordnungsamt als auffällig aggressiv gemeldet wird, kann überprüft werden, dann aber nicht in Form der standardisierten Verhaltensprüfung, sondern gezielt in dem Rahmen, in dem er auffällig geworden ist. Also im Regelfall im gewohnten Umfeld“, so Laukner.
Grundsätzlich werden die Tiere bei der Prüfung in verschiedene Alltagssituationen verwickelt. Zum Beispiel wird in ihrer unmittelbaren Nähe ein Regenschirm aufgespannt oder laut geschrien. Darüber hinaus werden sie mit einem Jogger konfrontiert. Ein Kinderwagen aus dem Babygeräusche kommen – die Stimme kommt natürlich vom Tonband – und eine betrunkene Person gilt es, ebenfalls zu ertragen. Aber auch „ranganmaßende“ Gesten muss der Hund ertragen: Er wird angestarrt sowie an Kopf, Hals und Rücken angefasst. Ebenso wird der Umgang mit anderen Hunden kontrolliert.
Statt Maulkorb- und Leinenzwang könne ein Tier, das aufgrund von massiv übersteigertem und unvorhersehbarem aggressivem Verhalten durch den Test fällt, im Extremfall sogar eingeschläfert werden. „Wenn eine weitere Haltung nur mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden ist.“ Beispielsweise, wenn es aus Sicherheitsgründen nur isoliert und ohne Sozialkontakte zu Artgenossen oder menschlichen Bezugspersonen gehalten werden kann.
Der Tierrechtsorganisation Peta reicht diese Art der Prüfung nicht aus. Sie fordert, mit Blick auf die jüngsten Vorfälle in Fellbach und Sigmaringen, die Einführung eines Hundeführerscheins in Baden-Württemberg: Ein Halter müsse nachweisen, dass er sachkundig mit seinem Tier umgehen und die Signale des Vierbeiners richtig deuten kann. „Eine funktionierende Kommunikation zwischen Hund und Halter ist unerlässlich, um Beißvorfälle zu verhindern“, sagt Dörte Röhl, Tierärztin und Fachreferentin bei Peta. „Die wahre Ursache für derartige Vorfälle ist beim Menschen zu suchen – nicht beim Tier.“ Jeder Hund, der falsch gehalten und behandelt werde, könne zu einer Gefahr für den Menschen werden – unabhängig davon, ob er einer Rasse angehöre oder ein Mischling sei. Der Hundeführerschein hätte aus Sicht von Tierärztin Röhl noch einen weiteren Vorteil: „Er kann Menschen, die sich noch nicht ausführlich mit dem Thema Hundehaltung auseinandergesetzt haben, von einem eventuellen Impulskauf abhalten. Jedes Jahr landen bundesweit 80 000 Hunde in Tierheimen. Viele davon wurden unüberlegt angeschafft.“
Über mögliche Konsequenzen für Hunde und deren Halter will das Landwirtschaftsministerium erst nach Abschluss der Ermittlungen zur tödlichen Hundeattacke entscheiden. „Wenn die Fakten zu dem tragischen Vorfall auf dem Tisch liegen, werden wir in Abstimmung mit dem Innenministerium das weitere Vorgehen beschließen“, so ein Sprecher von Agrarminister Peter Hauk gestern. Eine Frage sei, ob die Hunderasse Kangal in die Liste der gefährlichen Rassen aufgenommen werden müsse. Sie wurde im Herbst 2000 erstellt, nachdem im Juni zuvor in Hamburg zwei Kampfhunde einen Sechsjährigen zu Tode bissen.

Verhaltensprüfungen in Stuttgart

In den vergangenen sieben Jahren ist lediglich ein einziger Hund bei der Verhaltensprüfung durchgefallen. Hier die Entwicklung:
2010: 50 Hunde insgesamt (15 „Kampfhunde“ und 35 Hunde anderer Rassen).
2011: 50 (21 „Kampfhunde“ und 29 Hunde anderer Rassen).
2012: 43 (15 „Kampfhunde“ und 28 Hunde anderer Rassen).
2013: 31 (26 „Kampfhunde“ und 5 Hunde anderer Rassen).
2014: 34 (24 „Kampfhunde“ und 10 Hunde anderer Rassen).
2015: 51 (39 „Kampfhunde“ und 12 Hunde anderer Rassen).
2016: 45 (29 „Kampfhunde“ und 16 Hunde anderer Rassen).