Die „Geschichte der Dampfmaschine“ ist diese Serie überschrieben. Das Album befindet sich im Besitz des Landesmuseums. Foto: Eisenmann Quelle: Unbekannt

Von Andrea Eisenmann

Stuttgart - Die Qualifikation der deutschen Nationalmannschaft für die Fußball-WM 2018 ist in trockenen Tüchern - und so dürften Alt und Jung in wenigen Monaten von der Sammelleidenschaft gepackt werden. Schulhöfe, Büros und öffentliche Plätze werden sich in Tauschbörsen verwandeln, gefeilscht wird um Spieler und Spielstätten. Für die Firmen ist der klebrige Kult ein einträgliches Geschäft: Sechs Milliarden Bilder wandern nach Schätzungen jährlich über die Ladentheke, rund 250 Millionen Euro werden damit eingenommen. Auch der in Stuttgart ansässige Panini-Verlag profitiert von dem generationsübergreifenden Sammelrausch. Die Motive beschränken sich längst nicht nur auf klebende Kicker. Pokémon, Minions, Spiderman, Feuerwehrmann Sam - alles, was sich vermarkten lässt, wandert aus dem Tütchen in ein Album. Selbst Städte wie Stuttgart oder Bremen mit ihren Bauwerken und Persönlichkeiten gibt es mittlerweile zum Sammeln, Tauschen und Kleben.

Dabei dürfte nur wenigen bekannt sein, dass es die bunten Bildchen im handlichen Format bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt. Der französische Kaufmann Aristide Boucicaut warb mit diesen, bei jedem Einkauf im „Bon Marché“ gab es eines dazu. Gratis versteht sich. Die neue Werbestrategie fand nicht nur in Frankreich eine breite Anhängerschar, immer mehr Unternehmen weltweit begannen, ihren Produkten Sammelbilder beizulegen.

Ein Pionier war die Firma Liebig - benannt nach dem deutschen Chemiker Justus von Liebig -, die damit Kunden für ihren in Uruguay hergestellten Fleischextrakt gewinnen und an sich binden wollte. 1875 wurde die erste Serie in Paris gedruckt. Von einem günstigen Volksnahrungsmittel war das industriell gefertigte Produkt weit entfernt, vielmehr eignete es sich als Appetitanreger und sollte die Verdauung ankurbeln. „Die Zielgruppe war eine wohlhabende Bürgerschicht“, sagt Stefanie Hildebrand, Mitarbeiterin im Landesmuseum Württemberg. In dessen Bestand befinden sich mehrere gut erhaltene Sammelalben, die man einer älteren Stuttgarter Bürgerin abkaufen konnte. Das Prinzip, um eine Serie der Werbebilder zu ergattern: „Die Kunden tauschten bei ihrem Kaufmann 50 Banderolen dagegen ein.“ Die Themen der zumeist sechs Karten reichten von berühmten Bauwerken und Ereignissen der Weltgeschichte über Märchen, Tiere und Naturphänomene bis hin zu Bilderrätseln und Rezepten. Auf der Rückseite der Karten, die aufwendig im Chromolithografieverfahren gedruckt wurden, fanden sich erklärende Texte samt „Liebig“-Schriftzug in Blau. Auf der Vorderseite war in der unteren Ecke eine Dose des Fleisch-Extrakts abgebildet. Immer wieder stößt der Betrachter auf Begrifflichkeiten aus der Kolonialzeit - beispielsweise auf Serien, die mit „Neger 1“ oder „Neger 2“ betitelt wurden.

Die heile, idealisierte Welt zum Sammeln stieß auf eine große Abnehmerschar, ein regelrechter Kult entwickelte sich. Immer neue Serien wurden produziert, Kataloge und Zeitschriften zu den Liebig-Bildern veröffentlicht. Die von 1890 an herausgegebenen Sammelalben, die auch rückwirkend für einige Serien erstellt wurden, dienten nicht selten als Lexikon-Alternative oder Schulbuch-Ergänzung, in der Jung und Alt schmökerten. „Ein Teil der Bildung wurde daraus bezogen“, ist Hildebrand überzeugt.

Bis zum Jahr 1940 wurden in Deutschland 1138 Serien herausgebracht. Die Einstellung der Liebig-Produktion bedeutete zugleich das Aus für weitere Bilder. Zu diesem Zeitpunkt hatten allerdings auch andere Firmen die Sammelleidenschaft ihrer Konsumenten schon entdeckt. Margarine-Käufer beispielsweise durften sich ab den 1920er-Jahren über die farbigen Beigaben freuen.