Foto: dpa - dpa

Neue Zahlen, die unserer Zeitung vorliegen, bringen erstmals Erkenntnisse, wie die Luft in Stuttgarter Wohngebieten mit dem gefahrenträchtigen Feinstaub belastet ist. Das Ergebnis hat es in sich.

StuttgartWie gut war die Luft, die die Stuttgarter Bürger im Winterhalbjahr eingeatmet haben? Auch wenn sich die Diskussion zuletzt vor allem um Stickoxide (NOx) gedreht hat, sollte man für die Antwort vor allem auf die Feinstaubbelastung schauen. Die kleinen Partikel gefährden die Gesundheit stärker als NOx, wie jüngst ein Bericht der Leopoldina ergab. Neue Zahlen der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) zur Feinstaubbelastung in Stuttgart, die unserer Redaktion exklusiv vorliegen, ermöglichen erstmals detaillierte Einblicke zur Belastung in Wohngebieten.

Dabei geht es um die Stundenmittelwerte, die zwischen Mitte Oktober und Ende März am Neckartor sowie an der Gnesener Straße in Bad Cannstatt ermittelt wurden. Hier lag die Belastung mit Feinstaub mit einer Partikelgröße von maximal zehn Mikrometern (PM10) im Winterhalbjahr 841 Stunden lang über jener am Neckartor – das sind umgerechnet 35 volle Tage. Für die kleineren (und gefährlicheren) PM2,5-Partikel lagen die Werte an der Gnesener Straße sogar mehr als die Hälfte der Zeit über denen am Neckartor – und das ganz überwiegend zwischen 18 und 8 Uhr. Zwar ist die Differenz oft minimal und die Streulichtmethode, mit der die Werte ermittelt werden, ist ungenauer als das rechtlich bindende gravimetrische Verfahren. Auch wurden die Werte nicht im Einzelnen von Experten überprüft.

Abends bleiben Anwohner belastet

Doch ist die Erkenntnis neu, dass Anwohner ausgerechnet dann, wenn sie daheim sind und ihre Räume lüften, oft tendenziell ähnlich viel oder sogar mehr Feinstaub einatmen, als wenn sie am Neckartor stünden. Aus allen Stundenmittelwerten des Winterhalbjahrs haben wir ermittelt, wie sich die Belastung im Tagesverlauf verändert (siehe Schaubild). Typischerweise ist die Luft nach einer vom Berufsverkehr bedingten morgendlichen Spitze am frühen Nachmittag am besten, ehe zu Feierabend die Werte wieder ansteigen. Das gilt, auf unterschiedlichem Niveau, für das Neckartor und Bad Cannstatt. Abends laufen die Kurven nicht mehr parallel: Während am Neckartor die Werte sinken, bleiben sie im Wohngebiet gleich.

Ob das mit den Emissionen von Heizungen und insbesondere Holzöfen zu tun hat, wollte eine LUBW-Sprecherin nicht kommentieren. Eine dafür notwendige stoffliche Analyse des Staubs liege nicht vor. Auch lässt sich nicht sagen, ob die Zahlen repräsentativ für andere Wohngebiete sind. Außer in der Gnesener Straße misst die LUBW nur an Hauptverkehrsachsen. Die Stadtverwaltung hat auch keine eigenen Erkenntnisse zu dem Thema: „Wir wissen nicht, wie viel Feinstaub in den Wohngebieten in der Luft ist“, sagt Stadtklimatologe Rainer Kapp.

Schlechtere Luft im Norden

Die Frage nach dem Feinstaub in Wohngebieten lässt sich aber aus Zahlen von selbst gebauten Messgeräten hunderter Privatleute ablesen, die auf Initiative der Organisation Open Knowledge Foundation Germany öffentlich in einer Online-Feinstaubkarte verfügbar sind. Für Bad Cannstatt lassen sich die Werte von 21 über den Stadtbezirk verteilten Bürgersensoren nun mit denen der LUBW vergleichen. Im Mittel maßen sie vier Mikrogramm PM10 weniger als die LUBW-Station, doch die Kurven laufen weitgehend parallel – ein Indiz, dass die Werte die Belastung im Tagesverlauf gut abbilden.

Insgesamt lag die mittlere Feinstaubbelastung laut Onlinekarte im Winterhalbjahr klar unter dem EU-Grenzwert, teilweise jedoch über den von der Weltgesundheitsorganisation als unbedenklich eingestuften 20 Mikrogramm Feinstaub je Kubikmeter Luft. Wie schon im Winter 2017/18 waren die Werte in den Stadtbezirken Nord, Ost, Zuffenhausen und Obertürkheim relativ schlecht – insgesamt aber besser als am Neckartor, wo im Mittel 30 Mikrogramm Feinstaub gemessen wurden. Der mit Abstand höchste Wert wurde auch diesen Winter in der Silvesternacht gemessen. Mit bis zu 200 Mikrogramm Feinstaub war die Stuttgarter Luft so schlecht wie sonst in der dafür berüchtigten indischen Hauptstadt Delhi.

Infos im Netz

In der Region gibt es mehr als 750 Feinstaubsensoren des OK Lab Stuttgart, der Ortsgruppe der Open Knowledge Foundation. Die Gruppe hat einen Bausatz für Messgeräte zusammengestellt. So können Privathaushalte die Feinstaubbelastung vor ihrer Haustür messen und ihre Ergebnisse in die Datenbank eintragen. Die Feinstaubkarte ist online unter luftdaten.info abrufbar.