Die Mieten in Stuttgart gehen teils durch die Decke – Strafen dafür gibt es aber nicht. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Obwohl die Mietpreise in Stuttgart teilweise absurd hoch sind, können Ermittler kaum etwas dagegen tun. Grund ist die Gesetzeslage. Bis sich daran etwas ändert, sind die Behörden hilflos bei Mietwucher.

StuttgartDerzeit prüft die Stadt Stuttgart eine Anzeige gegen den Wohnungsriesen Vonovia. Der soll in diversen Fällen die ortsüblichen Mieten weit überschritten haben. Das ist eigentlich strafbar. Doch höchstwahrscheinlich wird die Anzeige keine Folgen haben. Und zwar ganz unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen und zu welchem Schluss die Stadtverwaltung kommt. Denn sie hat kaum eine Chance, Verstöße zu bestrafen.

Die Anzeige beruft sich auf Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz. Darin geht es um Mietpreisüberhöhung. Festgelegt ist, dass es sich in jedem Fall um eine Ordnungswidrigkeit handelt, wenn eine Miete das Ortsübliche um mehr als 20 Prozent überschreitet. Weitere Bedingungen sind nicht daran geknüpft. Auf dieser Grundlage ist es in der Vergangenheit zu diversen Verfahren gekommen. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 hat die Stadt 506 Anzeigen verzeichnet und immerhin 67 Bußgelder verhängt. Die Erlöse lagen bei mehreren Hunderttausend Euro. 38 Fälle davon stellten sich als so gravierend heraus, dass sich sogar die Staatsanwaltschaft damit beschäftigt hat. Das ist in Stuttgart dann der Fall, wenn die Stadt zur Meinung gelangt, dass die Miete um mehr als 50 Prozent zu hoch ist. Es handelt sich dann um Mietwucher.

Doch seither verzeichnet die Statistik des Amts für Liegenschaften und Wohnen eine glatte Null. Null Bußgelder, null Fälle für den Staatsanwalt. In acht Jahren. Anzeigen hat es seit 2011 auch nur noch 75 gegeben. Und das, obwohl die Mieten in der Stadt durch die Decke gehen und immer mehr Experten und Betroffene beklagen, dass immer häufiger Abzocke mit völligen Mondpreisen zu beobachten sei. Doch wie kann das sein?

Vorsatz nachzuweisen, ist schwierig

Es liegt schlicht an der Rechtsprechung. „Wegen ihr ist es aktuell sehr schwierig, einen Verdachtsfall auf Mietpreisüberhöhung erfolgreich durchzusetzen“, sagt Stadtsprecher Martin Thronberens. Der Bundesgerichtshof habe in Urteilen seit 2004 eine Mietpreisüberhöhung strikt daran geknüpft, ob zugleich eine Zwangslage oder mangelndes Urteilsvermögen beim Mieter vorgelegen haben. Er knüpft damit an einen weiteren Paragrafen an, nämlich Paragraf 291 des Strafgesetzbuches. Darin geht es um Wucher allgemein und auch bei Wohnungen. Dort ist die Zwangslage verankert – anders als im Wirtschaftsstrafgesetz. Die Richter setzen aber bei beiden nun die gleichen Voraussetzungen an. „Dieses Tatbestandsmerkmal ist entscheidend für den Erfolg des Verfahrens“, sagt Thronberens. Da der Mieter diese Zwangslage in der Regel aber nicht nachweisen kann, sinkt die Zahl der Anzeigen und der Verfahren – bei Letzteren bis auf null. „In den vergangenen Jahren haben wir eigentlich Anzeigen nur noch vom Jobcenter bekommen“, so der Stadtsprecher. Paragraf 5 sei deshalb „nahezu unwirksam“. Auch Claudia Krauth von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft sagt: „Die Stadt legt zwar immer mal wieder einen Fall vor, aber einen Vorsatz des Vermieters zur Ausnutzung einer Zwangslage nachzuweisen, ist sehr schwierig.“ Zwar seien für Mietwucher bis zu drei Jahre Gefängnis vorgesehen, in besonders schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahre, „aber die Voraussetzungen sind normalerweise nicht gegeben“.

Lage für die Mieter ist aussichtlos

„Der Bundesgerichtshof hat diesen Paragrafen wertlos gemacht“, kritisiert auch Rolf Gaßmann, Chef des Stuttgarter Mietervereins und des Mieterbundes in Baden-Württemberg. Seither hätten auch die Mietervereine wegen der Aussichtslosigkeit keine Fälle mehr zur Anzeige gebracht. „Wir soll der Mieter nachweisen, dass er keine andere Wohnung hätte finden können als die völlig überteuerte?“, fragt er. Man fordere deshalb seit langem, dass das Gesetz so geändert werde, dass es eindeutig sei. „Bis dahin kann man sich über die Preise aufregen, aber solange es keine Sanktionsmöglichkeiten gibt, wird sich nichts ändern.“

Dazu kommt, dass auch die 2015 eingeführte Mietpreisbremse kaum Wirkung zeigt. Sie besagt, dass bei Neuvermietung einer Wohnung die Miete maximal zehn Prozent über den ortsüblichen Vergleichsmieten liegen darf. Allerdings stellen solche Fälle keine Ordnungswidrigkeit dar, die Behörden können von sich aus nicht einschreiten. Der betroffene Mieter selbst muss nach Unterschreiben seines Mietvertrags zum Anwalt gehen. „Das tut natürlich kaum einer“, weiß Gaßmann. Einige Fälle hat er inzwischen dennoch auf dem Tisch, einer hat bereits vor Gericht mit einem Vergleich geendet. „Da werden Leute für die miesesten Buden abgezockt“, berichtet er. Dazu kommt, dass die Mietpreisbremse nur in ausgewählten Städten gilt – auch in der Region Stuttgart nicht überall. Bei der Stadt Stuttgart heißt es zur Mietpreisbremse: „Seit Inkrafttreten wurden vom Amt für Liegenschaften und Wohnen keine Verstöße festgestellt.“

Die Beteiligten hoffen nun auf klarere Gesetze oder ein Umdenken in der Rechtsprechung. Bis dahin gilt: Die Behörden sind völlig hilflos bei Mietwucher. Gaßmann wählt einen anschaulichen Vergleich: „Es ist wie beim Parken. Niemand würde Halteverbote beachten, wenn es keine Sanktionen gäbe.“