Vor einem halben Jahr noch undenkbar: Mohammad greift mit seinen Fingern nach den Händen von Chefarzt Thomas Ebinger. Foto: Sana Kliniken AG Quelle: Unbekannt

Stuttgart (seb) - Mit den Fingern etwas ertasten, einen Ball greifen und diesen werfen - Dinge, die für jeden normalen Heranwachsenden Alltag sind. Für Mohammad, ein siebenjähriger Junge aus Afghanistan, waren sie jedoch lange Zeit nicht möglich. Erst nach sechs Operationen im Karl-Olga-Krankenhaus konnte er seine Finger wieder strecken.

Fünf Jahre lang ist Mohammad mit geballten Fäusten durchs Leben gelaufen. Er hatte jedoch keine Wut im Bauch, sondern sich als Kleinkind beide Hände mit heißem Wasser verbrüht. Die Finger waren stark vernarbt, das Öffnen der Hand dadurch nicht möglich.

In seiner Heimat waren die Ärzte machtlos, zwar konnten sie durch schnelles Eingreifen eine Amputation der Hände verhindern, doch mehr konnten sie nicht für ihn tun. Mohammad wurde mehr und mehr zum Außenseiter. Während seine Freunde Ball spielten oder Fahrrad fuhren, war er zum Zuschauen verdammt.

Über die Hilfsorganisation Friedensdorf International konnte dem Jungen doch noch geholfen werden. Sie vermittelte ihn an Thomas Ebinger, Chefarzt der Klinik für Hand-, Plastische und Mikrochirurgie am Karl-Olga-Krankenhaus. Diverse Kliniken hatten die Behandlung abgelehnt, der Mediziner traute sie sich jedoch zu. In jeweils drei Operationen wurde zuerst die linke und anschließend die rechte Hand versorgt - mit Erfolg. „Mohammad hat eine unglaubliche Leidenszeit hinter sich, der Unfall hat sein gesamtes Leben überschattet. Wir sind alle sehr froh, dass wir ihm eine Zukunft schenken konnten. Dinge, die für uns alle selbstverständlich sind, waren für Mohammed bis vor kurzem noch unmöglich“, so der Chirurg. Es seien bereits wieder feine und grobe Greiffunktionen möglich. „Beide Hände funktionieren gleich gut.“

Ausgestattet mit seinen neuen motorischen Fähigkeiten kehrt Mohammad Ende August nach Nordafghanistan zurück. Während man ein Kind in Deutschland nach solch einer Operation regelmäßig in eine Klinik einbestellen würde, ist eine Nachbehandlung in seiner Heimat grundsätzlich nicht vorgesehen. Bei Problemen könne sich der Junge aber an ein deutsches Ärzteteam wenden, das zweimal im Jahr vor Ort ist. „Ich gehe nicht davon aus, dass das notwendig ist“, so Ebinger, der seinem kleinen Patienten ein paar Hausaufgaben aufgetragen hat. „Während seiner beiden stationären Aufenthalte hat er natürlich auch Physio- und Ergotherapie erhalten. Diese dort erlernten Übungen wird er auch künftig anwenden, um seine Hände weiter zu trainieren.“

Neben neuer Lebensfreude wird Mohammad spezielle Kompressionshandschuhe mit Silikonbeschichtung im Gepäck haben. Sie soll er möglichst regelmäßig in den kommenden sechs bis zwölf Monaten tragen. „Sie unterstützen ihn bei den Dingen des täglichen Lebens.“ Angst, dass der Junge sie in seiner Heimat ins Eck wirft, hat Ebinger nicht. „Er hat sie schon im Krankenhaus voller Stolz getragen.“ Sowieso sei der Junge, der nach seiner Ankunft in Stuttgart eher schüchtern war, von Tag zu Tag aufgeblüht. Dennoch freue er sich, wieder nach Hause zu dürfen. „Er hat dort eine intakte Familie.“

Der Eingriff im Karl-Olga-Krankenhaus ist kein Einzelfall. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeiten die Mediziner mittlerweile mit der Hilfsorganisation zusammen. 13 solcher Patienten wurden seither im Stuttgarter Osten behandelt - komplett kostenlos „Das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Ebinger, dessen Dank nicht nur der Klinikleitung gilt. „Während für uns der Eingriff nach einigen Stunden vorbei ist, liegt die größte Belastung beim Pflegepersonal.“