Die Bürokratie des Terrors waltete in der Zeit des Nationalsozialismus hier: das Hotel Silber. Foto: Landesdenkmalamt Baden-Württemb - Landesdenkmalamt Baden-Württemberg

Von hier aus verbreiteten die Gestapo-Schergen in Stuttgart ihren Terror: das frühere Hotel Silber mitten in Stuttgart. Anfang Dezember öffnet es für die Allgemeinheit als Erinnerungsort.

StuttgartAm kommenden Dienstag, 4. Dezember, öffnet die Erinnerungsstätte Hotel Silber nach 18-monatiger Bauzeit und zehn Jahre, nachdem sich eine Bürgerinitiative gegen den geplanten Abriss der ehemaligen Stuttgarter Gestapo-Zentrale in der Dorotheenstraße 10 gebildet hat. Bei der symbolischen Schlüsselübergabe am Freitag zeigten sich alle am Projekt Beteiligten zufrieden mit dem Ergebnis – trotz der zum Teil massiven Spannungen während Planungsphase. „Jedes Ringen um jeden Satz in der Ausstellung hat sich gelohnt“, sagte Kunststaatssekretärin Petra Olschowski bei der Eröffnungspressekonferenz im Hotel Silber am Freitagvormittag. Wenn die Zahl der Zeitzeugen kleiner werde, so Olschowski, müssten Orte wie dieser die Aufgabe der Zeitzeugenschaft übernehmen.

Finanzstaatssekretärin Gisela Splett (Grüne) bezifferte die Baukosten auf 4,5 Millionen Euro. Die 300 Quadratmeter große Ausstellung selbst schlug mit drei Millionen Euro zu Buche, der laufende Betrieb werde mit 560 000 Euro jährlich kalkuliert. Wie wichtig die Erinnerung sei, betonte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne): „Wer nicht bereit ist, sich zu erinnern, ist nicht geschützt vor der Wiederholung“, sagte der OB. Die Ausstellung zeige auf, was man hätte vor 1933 wissen können, und sie gebe damit auch Hinweise darauf, wie eine solche Entwicklung heute zu verhindern wäre.

Der OB räumte auf der Pressekonferenz ein, dass der Prozess der Entstehung der Gedenkstätte nicht „reibungsfrei“ verlief. Ins selbe Horn stieß Thomas Schnabel, der Direktor des Hauses für Geschichte Baden-Württemberg, Träger der Erinnerungsstätte Hotel Silber: „Ich war nicht mit jedem Prozess am Projekt glücklich“, so Schnabel. Letzteres ging wohl vor allem an die Adresse der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber um deren Vorsitzenden Harald Stingele. Schnabel betonte jedoch: „Ohne die Initiative hätten wir den Ort heute nicht so, wie er ist.“ Das Hotel Silber sei innerhalb Deutschlands etwas ganz Besonderes. „Die Ausstellung zeigt, wie der NS-Alltag war: nicht spektakulär, aber mörderisch.“

Stingele nannte zwei „Quellen“, die für den Erfolg des Projekts entscheidend waren: die Hartnäckigkeit der Bürgerinitiative, die den Abriss Hotels Silber verhindert habe, und die Rückendeckung der Zeitzeugen. Dass die Einrichtung erst 73 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs komme, sei im Grunde ein Skandal, so der Vorsitzende der Initiative. Die Stadt habe jahrzehntelang nicht zu ihrer Geschichte gestanden.

Im Untergeschoss des Hotels Silber ist nun eine Verwahrzelle rekonstruiert, wie sie von 1928 bis 1948 bestand. Die Dauerausstellung befindet sich im ersten Obergeschoss und zeigt zunächst, wie die Polizei in der Weimarer Republik strukturiert war und wie sie sich in der aufkommenden Diktatur entwickelt hat, um dann auf die Geschichte der Gestapo in Stuttgart einzugehen. „In jedem Ausstellungsraum steht ein Schreibtisch, auf dem Dokumente belegen, was in der Gestapo-Zentrale ganz konkret passiert ist“, erklärte die Ausstellungsleiterin Paula Lutum-Lenger. So ist unter anderem nachzulesen, wie von Stuttgart aus die Ermittlungen gegen den Hitler-Attentäter Georg Elser geführt wurden. Auch belegt die Schau, wie sich aus den Stuttgarter Gestapo-Beamten willfährige Täter der Tötungsmaschinerie rekrutierten. Walter Stahlecker, der zwischen 1934 und 1936 Leiter der Stuttgarter Gestapo war, zeichnete als späterer Befehlshaber der Einsatzgruppe A verantwortlich für die Ermordung von mehr als 200 000 Juden im Baltikum.

Die Ausstellung zeigt darüber hinaus, dass nach 1945 die Kriminalpolizei zwar bestrebt war, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten, dass es aber gleichzeitig auch Konstanten gab: So arbeiteten nach 1945 nicht nur 14 ehemalige Gestapo-Mitarbeiter bei der Stuttgarter Kripo, es gab auch weiterhin Verfolgungen und Diskriminierungen von Minderheiten wie homosexuelle Männer, Sinti und Roma oder sogenannten Displaced Persons. Mit dem Auszug der Polizei aus dem „Hotel Silber“ endet die Ausstellung.

Am 4. Dezember startet das Hotel Silber in eine Veranstaltungswoche mit Führungen, Vorträgen und einem Zeitzeugengespräch (Infos unter geschichtsort-hotel-silber.de). Eintritt bis Ende 2019 frei.

Hotel Silber: Eine Chronik

1873: Heinrich Silber kauft das Gasthaus zum Bayerischen Hof und baut das Gebäude zum vornehmen Hotel Silber aus. Betrieben wird es bis 1919, danach wird die Oberpostdirektion einziehen, 1928 das Polizeipräsidium samt Württembergischem Politischem Landespolizeiamt.

1937: Das Gebäude wird als „Staatspolizeileitstelle Stuttgart“ zur Gestapo-Landeszentrale für Württemberg und Hohenzollern gemacht. Obwohl es 1944 bei einem Luftangriff teilweise zerstört wird, baut man das Untergeschoss aus. Bis April 1945 ist das Haus ein Tatort für Folter und Mord der Gestapo. 1945 dient es nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands am 8. Mai erneut als Zentrale der Polizei.

1946/47: Die Bereiche, die bei der Bombardierung zerstört wurden, werden neu aufgebaut. 1985 wird ein Teil des Innenministeriums einziehen.

2007: Breuninger-Chef Willem van Agtmael stellt Pläne vor für eine Neubebauung mit Läden, Gastronomie und Büros in zwei Gebäuden an diesem Standort und auf dem umgebenden Areal. Das Land mit CDU-geführter Regierung will zunächst Projektpartner sein, das Hotel abreißen und in neuen Büros Beamte unterbringen.

2009: Die Kritik an Volumen und Gebäudehöhe wächst. Eine Bürgerinitiative, die sich 2012 als Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber in einem Verein organisieren wird, forciert den Kampf für die Erhaltung. Das Architekturbüro Behnisch plant zunächst noch eine Art unterirdischer Gedenkstätte mit einem Zugang in einem der Neubauten.

2011: Die neue grün-rote Landesregierung sichert den Fortbestand des früheren Hotels Silber in einer Protokollnotiz zum Koalitionsvertrag. Das Land will nur noch Mieter sein. Die Baupläne müssen verändert werden.

2015: Breuninger feiert die Grundsteinlegung. Neben dem Bauplatz, wo andere Gebäude abgerissen wurden, bleibt das alte Hotelgebäude erhalten. Land und Stadt schließen den Kooperations- und Finanzierungsvertrag für die Gedenkstätte.

2017: Das Dorotheen-Quartier öffnet am 30. Mai. Das Land kann bald die neuen Büros beziehen. Nun ist Platz für den Umbau im Inneren des alten Hotels.

2018: Am 3. Dezember wird das ehemalige Hotelgebäude Silber als ein „Ort des historisch-politischen Lernens und der Begegnung“ eröffnet werden.