Die Miene trügt: OB Kuhn zeigte sich zufrieden mit dem Stand der Sanierung. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski - Lichtgut/Leif Piechowski

Ein Rundgang mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn zerstreut frühere Befürchtungen: Die Wagenhallen am Stuttgarter Nordbahnhof wurden saniert - behielten aber ihren Charakter

StuttgartAuf den ersten Blick ist kaum ein Unterschied festzustellen: Der Klinkerbau am Nordbahnhof, vor mehr als zwei Jahren aus Brandschutz- und Sicherheitsgründen vorübergehend dicht gemacht, präsentiert sich nach der rund 21-monatigen Sanierungsphase als ausgesprochen behutsame Mischung aus alten und neuen Elementen. Am Dienstag hatte die Stadt – zwei Stunden nach der baurechtlichen Schlussabnahme und just an dem Tag, an dem Stuttgart von der Berenberg-Bank und dem Hamburger Weltwirtschaftsinstitut zur Kulturmetropole Nummer 1 in Deutschland ausgerufen wurde – zur Begehung der Wagenhallen am Nordbahnhof eingeladen, und auf allen Seiten gab es zufriedene Gesichter. Allein die Skeptiker des Sanierungsprojekts aus der Kommunalpolitik glänzten bei dem Rundgang durch Abwesenheit.

Neues und Altes verbunden

Am 26. Oktober wird der Veranstaltungsbereich mit einer Kapazität von bis zu 2100 Stehplätzen offiziell eingeweiht. Vorab soll die Funktionalität schon bei einigen kleineren privaten Events getestet werden. Die Atelierhalle, die rund 60 Prozent der Gesamtfläche ausmacht, wird erst im kommenden Jahr sukzessive in Beschlag genommen. Für OB Fritz Kuhn (Grüne) steht bereits jetzt fest: „Die Wagenhallen werden wieder zu einem wichtigen Kulturmagneten für die Stadt.“ Es ist das erste Kulturprojekt von Rang in Kuhns Amtszeit, das fertig gestellt wurde – und obendrein im vom Gemeinderat beschlossenen Kostenrahmen von 30 Millionen Euro bleibt. Dabei war die Aufgabe für das ausführende Stuttgarter Architektenbüro Atelier Brückner nicht einfach: Wie saniert man eine 1895 erstellte und in den 30er- und 60er-Jahren mehrfach umgebaute ehemalige Reparaturwerkstätte für Eisenbahnwaggons unter Berücksichtigung von Brand- und Lärmschutzauflagen, ohne dass dabei der morbide Charme und die Historie des alten Gemäuers verloren gehen? Die Architekten haben das Kunststück fertig gebracht, Neues und Altes zu kombinieren. Sie haben ein neues, mit modernem Schallschutz und Sprinkleranlagen versehenes Dach auf die historischen Stahlträger gesetzt, neue moderne Fensterfronten auf die Backsteinmauern montiert und dabei immer wieder die Bezüge zur Geschichte der Wagenhallen hergestellt.

Zentrales Element ist eine Brandschutzmauer aus Stahlbeton, die den 4000 Quadratmeter großen, durch Trennwände flexibel zu gestaltenden Veranstaltungssaal von den Ateliers trennt. Und weil nicht alle der rund 100 Künstler des Kulturvereins Wagenhalle auf den 6000 Quadratmetern Nutzfläche Platz fanden, ersetzten sie den abgerissenen Gebäudeteil im Nordosten des Areals durch ein Atelierhaus aus alten, eigens aus Ostdeutschland importierten Klinkersteinen. Für Kuhn ist das Konzept richtungsweisend: „Das Gebäude weist mehrere Zeitschichten auf. Das ist ein Vorzeigeprojekt für den richtigen Umgang mit Geschichte.“

Uwe Brückner vom Atelier Brückner konnte ihm da nur beipflichten: „Die Furcht vor einer Kaputtsanierung war unbegründet.“ Projektleiter Michel Casertano hofft, dass der „Spirit“ der Wagenhallen auch auf das geplante Rosensteinquartier ausstrahlen möge.

Neben dem Kulturbetrieb Wagenhallen der Veranstalter Stefan Mellmann und Thorsten Gutbrod und dem Kunstverein Wagenhalle findet auch wieder die Tanzschule Tango Ocho auf 450 Quadratmeter Platz. Für die Innenausstattung gehen die Nutzer selbst ins Obligo: Mellmann und Gutbrod nehmen rund vier Millionen Euro in die Hand, die Künstler stemmen zwei Millionen Euro Kredit, abgesichert über eine Bürgschaft der Stadt. Die Pachtverträge haben eine maximale Gesamtlaufzeit von 30 Jahren. Mit Kuhn, Kulturbürgermeister Fabian Mayer und Kämmerer Michael Föll (beide CDU) zeigten sich auch die Stadträte Andreas Winter (Grüne) und Jürgen Sauer (CDU) beeindruckt. Sie erinnerten daran, dass das Projekt gegen erheblichen Widerstand im Gemeinderat von Schwarz-Grün im Dezember 2016 auf die Schiene gesetzt wurde – mit knapper Mehrheit und der Stimme des OB.