Journalistin Barbara Schlegel steht im Stuttgarter Hauptbahnhof an einem ICE, mit dem sie aus Mannheim nach Stuttgart gefahren ist. Foto: dpa - dpa

Ausnahmezustand für Bahnpendler: Von April an zuckeln sie auf der Verbindung Stuttgart-Mannheim über eine alte Trasse - 205 Tage lang.

Stuttgart/Mannheim (dpa/lsw)Für Barbara Schlegel beginnen im April schwierige Zeiten: Die Korrespondentin des Mannheimer Senders Radio Regenbogen berichtet aus dem Stuttgarter Landtag und pendelt täglich zwischen den beiden Metropolen. Doch mit der Sperrung der Bahnstrecke ab 10. April wird sie zwischen Wohnung und Arbeitsplatz nicht mehr eine Stunde und zehn Minuten unterwegs sein, sondern fast zwei Stunden.

Die 56-Jährige will sich dann nur noch zu den wichtigsten Terminen in die Landeshauptstadt begeben. Freunde werden im Notfall Asyl gewähren. Wie ihr wird es vielen der Berufspendler unter den 66 000 Passagieren ergehen, die die Strecke täglich nutzen. Und zwar mehr als sechs Monate lang. Nach dem 31. Oktober sollen die Züge wieder über die modernisierte Strecke rasen können.

Nach rund 30 Jahren Dauerbetrieb wird die wichtige Bahnachse mit jährlich 24 Millionen Fahrgästen wieder fit gemacht. Weichen und Signaltechnik werden erneuert. 190 Kilometer Gleise werden neu verlegt. Die Züge werden über die Regionalverkehrsstrecke von Stuttgart über Mühlacker, Bruchsal und Schwetzingen und die bereits vom Fernverkehr genutzte Strecke Pforzheim - Karlsruhe umgeleitet. Das Projekt schlägt bei der Bahn mit geplanten 183 Millionen Euro zu Buche.

Vielfahrerin Schlegel sagt: «Die Sperrung ist für mich persönlich schrecklich, aber ich verstehe die Hintergründe.» Damit meint sie den Beschluss der Bahn, die Sanierung der 99 Kilometer langen Strecke nicht in Abschnitten, sondern als Ganzes vorzunehmen. Ansonsten wäre es zu Behinderungen über Jahre hinweg gekommen. Schlegels Motto: «Augen zu und durch.» Ein Bahnsprecher erläutert: «Es ist eine bewusste Entscheidung gewesen, komplett zu sperren, statt drei bis vier Jahre mit Einschränkungen zu leben.»

Nach Heidelberg dauert die Fahrt von Stuttgart aus dann 70 Minuten, 30 Minuten länger als sonst. Fahrgäste aus Frankfurt müssen bis nach Stuttgart 30 bis 45 Minuten länger einkalkulieren. Auch Fernreisende, die etwa von München nach Paris fahren wollen, werden länger brauchen. Die Baustelle bremst auch die Fahrten zwischen Karlsruhe oder Pforzheim und Stuttgart ab. Die Frequenz nimmt ebenfalls ab: So wird es laut Bahn zwischen Stuttgart und Mannheim «meist» drei statt vier Züge innerhalb von zwei Stunden geben. Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke fahren momentan täglich 185 Fern- und mehr als 20 Güterzüge.

Die betroffenen Menschen treffen Vorkehrungen wie auch Unternehmen und die öffentlichen Arbeitgeber. Bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) werden rund 300 Mitarbeiter unter der Streckensperrung leiden. Um ihnen das Leben zu erleichtern, aktiviert das Kreditinstitut in Mainz, Karlsruhe und Mannheim teilweise leerstehende Büroräume. Die dortigen 150 Poolarbeitsplätze sind mit Rechnern, Bildschirmen und Telefon ausgestattet. Feste Schreibtische gibt es dort nicht.

«Das ist die Lösung für denjenigen, der zu Hause nicht ungestört arbeiten kann oder kein schnelles Internet hat», erläutert LBBW-Sprecher Bernd Wagner. Das werde das Kreditinstitut keine Riesensummen kosten, da die Infrastruktur schon vorhanden sei.

Auch in den Ministerien in Stuttgart ist das Thema virulent. Im Innenministerium sind nach einer internen Erhebung 47 von rund 630 Mitarbeitern betroffen. «Für die Zeit der Sperrung ist vorgesehen, die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens großzügig zu handhaben«, sagt Ministeriumssprecher Carsten Dehner. Der Umfang werde bedarfsorientiert und temporär in Absprache mit dem Vorgesetzten festgelegt. Die Mitarbeiter können ihr Notebook zur Arbeit mit nach Hause nehmen. Mit dieser Lösung gehe man über die Regeln für den klassischen Telearbeitsplatz hinaus.

Unter den Betroffenen ist auch Dehners Kollege in der Pressestelle, Renato Gigliotti, der von seinem Wohnort Ludwigshafen nach Stuttgart eine Stunde 15 Minuten braucht. Mit dem veränderten Fahrplan werden es zwei Stunden. Er will seine Tätigkeit möglichst nach Hause verlagern. «Da habe ich die entsprechende Ausstattung und arbeite wie an meinem festen Arbeitsplatz.»

Auch das Wissenschaftsministerium überlegt, wie die Arbeit gewährleistet wird und zugleich die Pendler unter den 350 Mitarbeitern entlastet werden können. «Aktuell fragen wir die Betroffenheit bei den Kollegen im Haus ab», sagt eine Sprecherin. Telearbeit und mobiles Arbeiten würden schon heute angeboten.

Unmut empfindet manch einer über den Umgang der Bahn mit Zeitkarteninhabern. So erhielt ein Pendler zwischen dem Halt Wiesloch-Walldorf (Rhein-Neckar-Kreis) und Stuttgart auf die Frage, ob er mit seiner Jahreskarte für IC und EC den nur während der Sperrung dort verkehrenden ICE nutzen könne, die hinhaltende Antwort: «Leider sind uns die Regelungen für den Zeitraum der Baustelle noch nicht bekannt. Ein Mailing soll entsprechend im März versendet werden.» Eine Unverschämtheit, findet der Mann, der bald statt 32 Minuten eine Stunde und fünf Minuten zu seinem Job in Stuttgart unterwegs sein wird.

Der Fahrgastverband Pro Bahn mahnt kundenfreundliche Regelungen für die bevorstehenden Härten an. «Das Mindeste wäre, dass die Bahn vermeidet, dass für die längeren Strecken mehr bezahlt werden muss», sagte Landeschef Stefan Buhl. Die Bahn gibt zumindest in dem Punkt Entwarnung: Ticketpreise hingen nicht nur von der Länge der Strecke ab. Buhl fordert von der Bahn, den Pendlern mit gesenkten Preisen entgegenzukommen und rasch für Klarheit sorgen. Auch Journalistin Schlegel meint: «Angesichts der Unannehmlichkeiten wünsche ich mir Kulanz von der Bahn.»

Text