In den Klassenzimmern geht es künftig enger zu. Foto: dpa/Marijan Murat - dpa/Marijan Murat

Die Stadt Stuttgart rechnet mit einem überproportionalen Bevölkerungswachstum. Zehn Prozent mehr Kinder und Jugendliche werden den städtischen Schulträger an Grenzen führen.

StuttgartDie Einwohnerprognose für Stuttgart erfreut und beunruhigt Fachleute zugleich. Denn für die nächsten Jahre kündigen die städtischen Statistiker nicht nur einen historischen Höchststand bei der Einwohnerzahl an – 649 000 –, sondern auch eine „in den letzten 30 Jahren nicht da gewesene Zunahme von Kindern und Jugendlichen“. Die Rede ist von zehn Prozent Zuwachs bis 2030, das wären 8100 unter 15-Jährige mehr als im Jahr 2017. Konkret geht die Prognose davon aus, dass es bereits in fünf Jahren 1400 Kinder mehr sind, die unter sechs Jahre alt sind, die Zahl der Grundschulkinder um 1700 steigt und die der 15- bis 17-Jährigen um 900. Das wäre eine große Herausforderung für die Infrastruktur. Wird es die Stadt schaffen, ausreichend viele Kitaplätze, Erzieherinnen und Schulbauten bereitzustellen?

Wie kommt es zu dem Kinderboom?

Das Statistische Amt der Stadt sieht Stuttgart beim überproportionalen Zuwachs von Kindern und Jugendlichen als Sonderfall unter den Kommunen. Das hat mehrere Ursachen. So werden seit dem Jahr 2000 in Stuttgart wieder mehr Kinder geboren, als Menschen sterben. Zum Babyboom tragen auch viele aus dem Ausland zugezogene Frauen bei, die geburtenstärker sind als deutsche Frauen. Außerdem rechnen die Statistiker mit weiteren Zuzügen, sie gehen von 2000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr aus, viele davon in den Stadtbezirken Nord und Mitte. Einen besonders starken Anstieg bei den bis zu 14-jährigen Kindern und Jugendlichen soll es auch in Vaihingen, dem Westen, Bad Cannstatt, Mühlhausen und Zuffenhausen geben.

Was bedeutet das für das Angebot?

Eltern von kleinen Kindern werden weiter viel Glück brauchen, wenn sie einen günstigen Kitaplatz erwischen wollen. Schon bisher fehlen trotz stetigen Ausbaus rund 3000 Kitaplätze. „Es ist klar, dass die Situation nicht einfacher wird – das potenziert sich“, kündigt Jugendamtschefin Susanne Heynen an. „Ich rechne damit, dass künftig noch mehr Kitaplätze fehlen werden.“ Denn: „Die Fachkräftegewinnung wird schwieriger, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen.“ Das trifft zwar die ganze Stadtverwaltung, aber eben auch die Erzieherinnen. „Man kann nur hoffen, dass mit dem Wachstum der Stadt auch Fachkräfte nach Stuttgart kommen“, so Heynen. Verschärft werde die Situation in diesem und den nächsten zwei Jahren zudem durch die Verlegung der Einschulfrist. „Es werden aller Voraussicht nach mehr Kinder länger in der Kita bleiben“, so Heynen. Schon jetzt sei klar: „Der Rechtsanspruch auf Kitabetreuung wird nicht eingelöst – man muss ehrlich sagen, dass es nicht geht.“

Bekommt jedes Kind einen Schulplatz?

Laut Prognose wächst die Zahl der Grundschulkinder in fünf Jahren um 1700, in sieben Jahren bereits um 2200 Schüler. Auch an den weiterführenden Schulen erhöht sich laut Prognose die Schülerzahl: In fünf Jahren sollen es 900 15- bis 17-Jährige mehr sein, in sieben Jahren insgesamt 1400 Zehn- bis 17-Jährige. Zusätzlich, wohlgemerkt. Dennoch müssten Eltern keine Angst haben, dass ihr Sprössling leer ausgeht. Klare Ansage von Bildungsbürgermeisterin Isabel Fezer: „Jedes Kind bekommt einen Schulplatz.“ Schließlich müsse die Stadt als Schulträger die Schulpflicht sicherstellen. Doch auch künftig wird – wie bisher schon – nicht immer ein Platz auf der Wunschschule möglich sein.

Wie will die Schulverwaltung den Zuwachs schultern?

Man habe Bevölkerungsentwicklung, Bildungspolitik und schulisches Angebot ständig im Blick und entwickle dieses entsprechend weiter, versichert Andreas Hein, der Leiter des Schulverwaltungsamts. Konkrete Neubaupläne nennt er nicht. Man werde „bedarfsgerecht und entsprechend der konkreten schulart- und regionalspezifischen Entwicklungen parallel verschiedene Maßnahmen ergreifen“. So machten etwa die großen, neuen Aufsiedelungsgebiete in der ganzen Stadt auch den Bau neuer Grund- und Sekundarschulen notwendig, etwa auf dem Rosenstein- oder dem Eiermann-Areal sowie dem Gebiet Schafhaus. In einigen Fällen, so räumt Hein ein, müssten „zur Abfederung von großen Aufsiedlungswellen“ auch Interimslösungen gefunden werden. Aktuell sei dies etwa an der Hohewartschule, der Pelikanschule und den Grundschulen Kaltental, Stammheim und Zuffenhausen der Fall. Zudem werde an einigen Standorten das Auslaufen der Werkrealschule genutzt, um zusätzlich Raum für die Grundschulen zu gewinnen – auch für die Ganztagsbetreuung.

Wird ein neues Gymnasium gebaut?

Konkret sei keines geplant. Aber, so Fezer: „Ich will das nicht ausschließen.“ Zunächst setzt man bei der Stadt auf eine Kapazitätserhöhung der vorhandenen Schulen. So werde mit dem Neubau des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums in Bad Cannstatt die Kapazität von zwei auf vier Züge erweitert. Auch das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Sillenbuch soll nach Sanierung und Teilneubau künftig auf fünf Züge aufgestockt werden. Beim Wirtemberg-Gymnasium in Untertürkheim denke man mittelfristig an eine Außenstelle am Steinenberg, so Fezer. Auch die Kapazitäten der Schickhardt-Gemeinschaftsschule im Süden sowie der Schloss-Realschule im Westen sollen durch Außenstellen in den Gebäuden der früheren Heusteigschule sowie der früheren Friedensschule auf jeweils vier Züge erweitert werden. Hierzu liefen die Planungen bereits.

Gibt es für Schulneubauten genug Planer und Handwerker?

Bei diesem Punkt räumt Hein „eine große Unsicherheit in Bezug auf die zeitliche Umsetzung vieler öffentlicher Bauvorhaben“ ein. „Aufgrund der aktuell guten Auftragslage in der Bauwirtschaft ist es für öffentliche Träger häufig mühsam, adäquate und zeitnahe Angebote zu bekommen.“ Dies wirke sich „unmittelbar auf die Realisierung städtischer Projekte aus“.