An der Unfallstelle haben die Eltern einen Gedenkstein für das getötete junge Paar, Jaqueline und Riccardo, niedergelegt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko - Lichtgut/Max Kovalenko

Am zweiten Tag des Stuttgarter Raser-Prozesses wird erörtert, wie sich der 20-jährige Jaguar-Fahrer nach dem tödlichen Unfall an der Rosensteinstraße verhielt. Weil er als suizidgefährdet galt, wurde er in eine Klinik gebracht.

StuttgartWer vermietet einen Wagen mit 550 PS an einen 20-Jährigen? Diese Frage hat nach dem tödlichen Unfall mit einem gemieteten Jaguar Anfang März in Stuttgart viele beschäftigt. Am Freitag kam der Vermieter als Zeuge ans Stuttgarter Landgericht, wo gegen den Unfallverursacher wegen Mordes verhandelt wird.

Ein ruhig wirkender Mann mit akkuratem Seitenscheitel im pechschwarzen Haar und einem gepflegten Bart betritt den Saal. Ein 25-jähriger, der wohlabgewogene Worte findet für das schreckliche Geschehen und so gar nicht dem Vorurteil entspricht, das über ihn grassierte nach dem Unfall. Er war als skrupelloser Mittäter beschimpft worden, viele sahen eine moralische Verantwortung für den Tod des jungen Paares bei ihm.

Der Angeklagte, ein 20-jähriger Auszubildender, muss sich in den Verfahren wegen Mordes verantworten. Er soll am Abend des 6. März mit mehr als Tempo 160 durch die Rosensteinstraße gerast sein. Wegen eines Ausweichmanövers verlor er die Kontrolle über den Wagen und krachte in einen Kleinwagen, in dem ein junges Paar saß. Beide waren sofort tot. Der Wagen stammte aus einem Nürtinger Verleih, der auf PS-starke Autos spezialisiert war.

Zum dritten Mal Kunde im Verleih

Der Unfall ist nicht spurlos an dem Verleiher vorbeigegangen. „Ich habe den Verleih aufgegeben. Sofort nach dem Unfall“, sagt er. Er habe diesen als Nebenjob betrieben. Im Hauptberuf ist der Nürtinger Packmitteltechnologe. Wenn er jemals wieder in das Geschäft einsteigen würde, dann nur mit Oldtimern für Hochzeiten. Als er den Anruf bekam, es sei zu einem Unfall gekommen, habe er gedacht: „Wenn der Fahrer unverletzt ist und es ist in der Stadt, dann kann es so schlimm nicht sein.“ Der Fahrer habe ihn angerufen und gesagt, er müsse sofort kommen. Am Unfallort sei er dann erschrocken über das Ausmaß – und schockiert gewesen vom Tod des jungen Paares. Der 20-Jährige sei zum dritten Mal bei ihm Kunde gewesen, immer höflich und zurückhaltend aufgetreten. Bei einem der drei kurzen Anrufe an jenem Abend habe der Mieter gefragt, ob der Schaden bezahlt werde.

Die Kammer ist darum bemüht, aus allen Winkeln das Verhalten des Fahrers zu beleuchten. Das ist mitunter schwer zu ertragen für die Angehörigen, die als Nebenkläger auftreten. Etwa dann, wenn ein Kumpel aus der Clique des 20-Jährigen aus dem Nordbahnhofviertel spricht – und sich erleichtert darüber äußert, dass sein Freund am Steuer des Jaguar den Unfall unverletzt überstand. „Wir waren in der Shisha-Bar, da hieß es, es war ein Unfall beim Kino“, berichtet der Heranwachsende. Ein Aufreger in der recht gleichförmigen Freizeitroutine der Jungs. Karten spielen, Shisha rauchen, abhängen, Freunde treffen, so verbringen sie ihre Abende: „Das ist etwas traurig, wir sind leider sehr langweilig unterwegs.“

Als sie von dem Unfall hörten, hätten sie sofort dem 20-Jährigen geschrieben, der den Jaguar an jenem Abend auch vor der Shisha-Bar bewundern ließ. „Er soll aufpassen, da ist ein Unfall, da sind – Entschuldigung, das ist jetzt echt nicht bös gemeint – Bullen unterwegs“, so der Kumpel des Unfallfahrers. Sie wollten ihn warnen vor der Polizei.

„Froh, dass es ihm gut geht“

Dass ihr „Kollege“, wie man sich in der Clique nennt, darin verwickelt war, habe man kurz darauf gehört. „Wir sind dann hin und waren schon froh, dass es ihm gut geht“, sagt der Auszubildende. Die Wirkung seiner Worte auf die Eltern der Getöteten ist ihm wohl bewusst. „Es ist furchtbar, dass die anderen gestorben sind. Aber es hätten ja auch vier Tote sein können“, schiebt er entschuldigend hinterher.

Nur mit Mühe können die drei Richterinnen dem Zeugen entlocken, dass er die Bar verließ, um ein Handyvideo des Wagens zu machen. Es seien in Whatsapp-Gruppen Aufforderungen herumgegangen, solche Videos vom Handy zu löschen. „Weil das kommt nicht gut – nicht ihm gegenüber“ – gemeint ist der Angeklagte – „und erst recht nicht gegenüber den Toten“, fügt er leise hinzu.

Der Schock habe auch beim Unfallverursacher tief gesessen, berichtet eine Mitarbeiterin des Kriseninterventionsteams. „Er hat mich gefragt, wie alt ich bin“, schildert sie. Als er erfuhr, dass sie 64 Jahre alt ist, fand er das gut. „Dann haben Sie Erfahrung und können mir sagen: Wie kann man mit so einer großen Schuld weiterleben?“ Eine Antwort habe sie ihm nicht geben können. Da der 20-Jährige mehrfach gesagt habe, er wolle sich das Leben nehmen, sorgten sie und die Polizei dafür, dass er zunächst in eine Klinik gebracht wurde.