Der Kampf gegen Falschparker in der Stadt treibt inzwischen auch seltsame Blüten. Foto: Horst Schmidt/stock.adobe.com - Horst Schmidt/stock.adobe.com

Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen zwei dubiose Abschleppunternehmen wegen gewerblichen Betrugs. Neben den Schwarzen Sheriffs gegen Falschparker spielen auch Händler eine seltsame Rolle.

Stuttgart Die Einkaufstüten waren prall gefüllt. 4,2 Kilo Hundefutter für 37,93 Euro – ein Vorrat für Josie, eine fünfjährige Hündin aus Kaltental. Der Einkauf in einem Tiernahrungsgeschäft am Schillerplatz in Vaihingen war eigentlich ein normaler Vorgang für den 30-jährigen Hundebesitzer und seinen 72-jährigen Vater. Sie hatten ihr Auto auf dem Parkplatz auf der Rückseite des Gebäudes geparkt. „Reserviert für unsere Tierfreunde“, heißt es dort auf Schildern an elf Stellplätzen. Doch an jenem Freitag kam alles anders. Das Auto war weg. Abgeschleppt. Josies Hundefutter kostete die Männer plötzlich 310 Euro.

250 Euro Abschleppgebühr und 22 Euro fürs Taxi, um zum Abschleppplatz zu kommen. Alles ein Missverständnis, das sich leicht aus der Welt schaffen lässt? Seit nunmehr sieben Monaten versucht die Familie aus Kaltental ihr Geld zurückzubekommen – doch selbst mit anwaltlicher Hilfe beißt sie auf Granit. Der Händler in Vaihingen reagiert nicht. Über die Abschleppfirma wundern sich die Betroffenen inzwischen auch nicht mehr: Gegen den Abschlepper mit Sitz im Gewerbegebiet Fasanenhof ermittelt seit Anfang Februar die Polizei – wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Erpressung. „Aktuell liegen uns 100 Strafanzeigen vor“, sagt Jan Holzner, Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Wie Schwarze Sheriffs

Der Kampf gegen Falschparker auf privaten Stellplätzen treibt in Stuttgart offenbar seltsame Blüten. Abschlepper bieten einen Rundumservice an, gehen wie Schwarze Sheriffs mit Abschlepphaken auf Streife. Ermittlungen der Polizei, ausgelöst durch die Berichterstattung unserer Zeitung, erhärten den Verdacht, dass die Abschlepper dabei auch ohne Auftrag eines Grundstückseigentümers in eigener Regie abschleppen und bei den Betroffenen auf diese Weise betrügerisch abkassieren. Die Firma im Fasanenhof, mit Filialen in Leinfelden-Echterdingen, Böblingen und Reutlingen, ist nicht die einzige im Visier der Polizei-Ermittlungsgruppe „Haken“. Vor wenigen Tagen gab es eine Razzia bei einem weiteren Unternehmen in Bad Cannstatt. Diese Firma hat sich laut Inhaber auf Falschparker spezialisiert, ist nach eigenen Angaben auch in Köln und Düsseldorf aktiv. Gegen das Unternehmen läuft ein Verfahren wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs und der Erpressung. „Hier geht es um mindestens 15 Fälle“, erläutert der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Familie aus Kaltental allerdings gehört nicht zum Opferkreis dieser Ermittlungen – die Abschlepper können in diesem Fall ein Vertragsverhältnis mit dem Tiernahrungshändler nachweisen. Doch das Geschäftsgebaren fühlt sich für die Betroffenen nicht weniger betrügerisch an.

Der Abschleppfahrer, der den Wagen der Kaltentaler Betroffenen Mitte August 2017 an den Haken nahm, notierte handschriftlich eine Einsatzzeit von 11.12 bis 11.39 Uhr. Er habe den Wagenbesitzer nicht im Markt angetroffen und habe dies zweimal überprüft. Dann habe er abgeschleppt. Vater und Sohn können aber nachweisen, dass sie um 11.35 Uhr an der Kasse standen. So steht’s auf dem Kassenbon. Ihnen war vorher der Abschlepper aufgefallen, der auf dem Parkplatz im Hinterhof auf der Lauer lag. Sie hatten sich nichts dabei gedacht, als der Sohn in den Laden ging und der 72-jährige Vater einen Abstecher zur benachbarten Bank machte. Um 11.27 Uhr, das belegt der Kontoauszug, hob er dort Geld ab und suchte den Sohn im Markt auf. Um 11.35 Uhr bezahlte der Sohn Josies Hundefutter mit 40 Euro in bar, bekam 2,07 Euro Rückgeld. Vier Minuten später will der Abschlepper mit ihrem Wagen weggefahren sein.

Als die beiden Männer beim Verlassen des Ladens feststellen mussten, dass ihr Auto weg ist, suchten sie die Verkäuferin Rat suchend auf. Die wusste die Adresse des Abschleppers und druckte nochmals den Kassenzettel aus, den der Sohn zunächst für überflüssig erachtete, der nun aber als Beweis nötig war, um das Auto auszulösen. Mit dem Bon fuhren die Kunden per Taxi zum Fasanenhof. Der Geschäftsführer des Abschleppers aber bestand auf die 250 Euro. Weil der Kassenbon nachträglich ausgestellt sei, entlastende Uhrzeit hin oder her. Vater und Sohn sahen keine andere Möglichkeit, als zunächst zu zahlen.

Der Inhaber des Vaihinger Geschäfts ist nicht zu einer Stellungnahme bereit. Die Familie hatte auf Anregung ihrer Rechtsschutzversicherung eine Mediatorin eingeschaltet und ihm den Vorfall schriftlich zukommen lassen. Weil er nicht antwortete, schaltete sie Ende Oktober einen Anwalt ein, der die „widerrechtlich und rechtsgrundlos erhobenen“ Abschleppkosten zurückforderte. Der Händler sei laut BGH-Urteil von 2012 als „Grundstücksberechtigter“ verantwortlich. Doch auch hier: keine Antwort.

Will die Familie ihr Geld zurück, muss sie selbst vor Gericht ziehen. Jedoch will die Rechtsschutzversicherung die Anwaltskosten nicht übernehmen. Der 72-Jährige versteht die Welt nicht mehr: „Muss ich jetzt auch noch mit meiner Versicherung herumstreiten?“ Die Abschlepper setzen darauf, dass er es nicht tut.

Hintergrund

Die Geschäftsidee: Grundstückseigentümer, Geschäfte und Firmen können Abschleppfirmen beauftragen, ihre Stellplätze von Fremdparkern frei zu halten. Manche Händler begnügen sich mit 30 Euro Bußgeld, andere lassen Abschleppern freie Hand. Für die sind solche Pauschalaufträge lukrativ, weil sie pro Fall etwa 250 Euro abrechnen können.

Der Verdacht: Bei zwei Firmen m Fasanenhof und in Bad Cannstatt glauben Polizei und Staatsanwaltschaft, dass Mitarbeiter auch ohne Auftrag Autofahrer an den Haken genommen und Strafgebühren kassiert haben. Nach Berichterstattung unserer Zeitung über dubiose Abschleppvorgänge in der Stadt wurde die Ermittlungsgruppe „Haken“ gegründet, die zwei Razzien startete und Geschäftsunterlagen beschlagnahmte.

Die Grauzone: Gibt es zwischen Händler und Abschlepper einen Pauschalvertrag, dann können ungerecht behandelte Autofahrer sich nur auf zivilrechtlichem Weg wehren – gegen den sogenannten Grundstücksberechtigten.(wdo)