Stuttgart (eh) - Wenn das nächtliche Verkaufs-Verbot von Alkohol in Baden-Württemberg fällt, ist die Gefahr groß, dass der Alkohol-Konsum junger Menschen wieder zunimmt. Davon ist Klausjürgen Mauch, Leiter der Mobilen Jugendarbeit der Evangelischen Gesellschaft (eva), überzeugt.

Das Phänomen „Komasaufen“ ist bei Jugendlichen seit einigen Jahren zu beobachten. Doch der exzessive Alkoholkonsum hat dank zahlreicher Maßnahmen offenbar an Reiz verloren. „Die gute Nachricht ist, dass wir weit entfernt sind von den Zahlen von 2008. Damals erreichte die Zahl der Einlieferungen ins Krankenhaus wegen Alkoholmissbrauchs in Stuttgart mit 736 Patienten ihren traurigen Höhepunkt“, sagt Christian Kratzke, Geschäftsführer der AOK Stuttgart-Böblingen. 2015 waren es 432 Versicherte, im Jahr 2014 nur noch 412 Fälle. Unter den Betroffenen waren viele Jugendliche.

Der Rückgang ist nach Einschätzung der Mobilen Jugendarbeit auch auf das nächtliche Verkaufsverbot in Supermärkten und Tankstellen zurückzuführen. Und deshalb macht sich Mauch Sorgen: Sollte der baden-württembergische Landtag im Herbst den entsprechenden Beschluss fassen - was derzeit als wahrscheinlich gilt - könnte Alkohol ab 2018 wieder rund um die Uhr verkauft werden. Das könnte fatale Folgen haben: „Wir haben bei unseren Innenstadt-Streetworkeinsätzen in Stuttgart die klare Erfahrung gemacht, dass die Verfügbarkeit von Alkohol Auswirkungen auf den Konsum hat“, sagt Mauch.

Jugendliche wüssten zwar, dass Alkohol schädlich sei. Doch wenn sie zum Feiern unterwegs seien, greife Prävention nicht mehr, sagt Mauch. „Dann ist nur noch Schadensbegrenzung angesagt.“ Die jungen Frauen und Männer würden Alkohol zu ihren Treffpunkten mitbringen - und wenn dann andere hinzukämen, die mittrinken, sei oftmals Nachschub nötig. Deshalb sei es gut, dass Alkohol seit 2010 nicht mehr nach 22 Uhr verkauft werden darf, ist Mauch überzeugt.

Das Verbot einfach zu kippen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Die von der Regierungskoalition geplante Regelung, dass Kommunen auf öffentlichen Straßen und Plätzen zeitlich begrenzte Konsumverbote anordnen können, sei dagegen richtig, so Mauch. „In Stuttgart fehlt aber nach wie vor ein Gesamtkonzept für Alkohol im öffentlichen Raum.“ Darin könnten Jugendhilfe, Suchthilfe, Polizei und Amt für öffentliche Ordnung zusammen mit der Politik gemeinsam festlegen, wann und wo ein Alkohol-Verbot sinnvoll sei. Auch Einsatzorte für nächtliche Streetwork könnten darin benannt werden - sofern diese finanziert werde.

Die Mobile Jugendarbeit, die von der Evangelischen Gesellschaft (eva) und vom Caritasverband für Stuttgart getragen wird, hatte 2012/13 an den Wochenenden gemeinsam mit Release ein entsprechendes Projekt durchgeführt. Damit sollte alkoholbedingter Jugendgewalt in der Stuttgarter City vorgebeugt werden. Die Streetwork war sehr erfolgreich, erhielt nach der Projektphase aber keine öffentlichen Gelder, sodass sie eingestellt werden musste.

Handlungsbedarf ist auch aus Sicht der AOK erforderlich. Laut Kratzke hält der Positiv-Trend nicht an: „Im Vergleich zu 2015 und vor allem zu 2014 haben wir wieder mehr Behandlungen in den Stuttgarter Krankenhäusern gezählt.“ 468 Fälle akuten Alkoholmissbrauchs hat die Krankenkasse im vergangenen Jahr registriert.