Von Detlef Holland

Stuttgart - Wer sich der Digitalisierung verweigert, wird bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre untergehen. „Alles,was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, das prophezeit Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, seit er vor zwei Jahren dieses immer wichtiger werdende Amt angetreten hat. In einem Vortrag „Wirtschaft, Währung, Gesellschaft und die digitale Revolution - wie sichern wir die Zukunft Europas?“ machte er bei einer Veranstaltung der Deloitte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Stuttgart vor allem den Unternehmern im Südwesten deutlich, dass eine europaweite Digitalisierungsstrategie unerlässlich ist. Nur mit einer gemeinsamen, europäischen Strategie Industrie 4.0 werde die Staatengemeinschaft den Anschluss an die USA und Asien nicht verlieren. Während hierzulande Fragen rund um den Datenschutz im Mittelpunkt stehen, trieben Unternehmen jenseits des Atlantiks und Pazifiks die eigentliche Nutzung der Daten voran - und damit neue Geschäftsmodelle jenseits der klassischen Industrien, wie wir sie seit 140 Jahren kennen. Auf eben diese neuen Modelle können, so Oettinger, jedoch auch Unternehmen in Deutschland und Europa künftig nicht verzichten, wenn sie nicht weiter abgehängt werden wollen - etwa bei IT-unterstützten Dienstleistungen und bei der Kundenbetreuung.

Schon beim Duschen nachdenken

Diesem Anliegen Oettingers stehen jedoch zahlreiche staatliche Regulierungen gegenüber, die den Weg in die Digitalisierung für deutschen Firmen mehr als steinig gestalten. Big Data und Datenschutz scheinen bislang in Europa unvereinbar. Der EU-Kommissar rät vor allem Konzernen, einen Chief Digital Officer einzustellen. Dieser soll neue Prozesse entwickeln, planen und neue Geschäftsmodelle erarbeiten. „Wer als Unternehmer heute nicht mit der Digitalisierung aufsteht, macht etwas falsch“, mahnt Oettinger. Schon beim Duschen müssten Unternehmer über die digitalen Veränderungen nachdenken. Tun sie dies nicht, werden sie von amerikanischen Unternehmen wie Apple, Google & Co. überrollt. Der EU-Kommissar veranschaulicht das Ganze immer wieder gern am Beispiel seinen 17-jährigen Sohnes: Er verbringe gut sechs Stunden am Tag mit seinem iPhone, habe immer nur MacBooks und iPads benutzt. Für ihn habe die Marke Apple eine besondere Bedeutung. Ob er aber in einem Mercedes oder BMW mitfahre, spiele für ihn eine untergeordnete Rolle. Wenn sich Apple nun aufmache, Autos zu produzieren, in die das iPhone mit seinen Funktionalitäten perfekt eingepasst ist und die zudem optisch ansprechend sind, werde diese Generation später Apple-Autos fahren.

Auch das Ende von Münzen und Scheinen zur Bezahlung ist nach Ansicht Oettingers bei der weiteren digitalen Revolutionierung der Geschäftswelt unvermeidlich: „Bargeld stirbt aus: Wir werden mit der Apple-Watch bezahlen, und wir werden mit dem Smartphone bezahlen.“ Deutsche seien, was das Bezahlen angeht, immer „etwas konservativer“ als etwa Finnen oder Dänen. So hätten die Bundesbürger noch lange am Scheck festgehalten, als sich anderswo die EC-Karte längst durchgesetzt habe.

Der Markt regelt es

Das Ende der Barzahlungen und die Verlagerung der Transaktionen komplett ins Digitale würden aber kommen, da ist sich Oettinger sicher. Der CDU-Politiker sprach sich jedoch gegen eine Abschaffung des 500-Euro-Scheins aus. Das werde der Markt von alleine regeln. Bargeldloses Bezahlen werde im Zuge der Digitalisierung der Verbrauchergewohnheiten immer selbstverständlicher. Diesem Trend wird nach Auffassung des EU-Kommissars das Bargeld komplett zum Opfer fallen.

Für erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle braucht es nach Ansicht Oettingers eine flächendeckende, digitale Infrastruktur. Er plädierte deshalb dafür, alles daran zu setzen, schnelle Datenautobahnen mit Übertragungsraten im Gigabit-Bereich zu schaffen. Und dies auch in ländlichen Regionen. Denn auch Landwirte bräuchten künftig schnelles Internet. Ende 2015 verfügten allerdings nur 1,3 Prozent der deutschen Haushalte über einen Glasfaseranschluss, mit dem Geschwindigkeiten von mehr als 50 Megabit pro Sekunde möglich sind. „Vom Gigabit-Bereich sind wir noch weit entfernt“, muss Oettinger zugestehen.

Viel verspricht sich der EU-Kommissar von einem positiven Abschluss der TTIP-Verhandlungen über den transatlantischen Handelsaustausch mit den USA. Sein Werben für eine pragmatische Zustimmung zu einem TTIP-Abkommen wird immer stärker, angesichts der wachsenden digitalen Überlegenheit der USA. Was Rechtssystem und Qualitätsstandards betrifft, sieht Oettinger die USA als führend. Seine Antwort auf die TTIP-Gegner ist deshalb auch deutlich genug: „Ich esse lieber ein gesundes amerikanisches Chlorhühnchen als ein deutsches, das mit Medikamenten vollgestopft ist.“