Der Stuttgarter Daimler-Konzern beschäftigt in China mittlerweile 23 400 Frauen und Männer. Die Belegschaft hat sich binnen zehn Jahren vervierzigfacht. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Michael Paproth

Stuttgart - Wie das Leben so spielt: Da lädt der Stuttgarter Daimler-Konzern schon vor einigen Wochen zu einer Pressekonferenz nach Untertürkheim ein, um über Personalstrategie, Wissenstransfer und Arbeitgeberattraktivität in China zu sprechen, nicht ahnend, dass es am vergangenen Montag im Reich der Mitte großen Ärger geben wird. Ein deutscher Manager der Lastwagen-Sparte in Peking soll Chinesen beleidigt, sie auf einem Parkplatz als „Bastarde“ beschimpft und beim anschließenden Streit Pfefferspray versprüht haben. Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth wartet gestern erst gar nicht auf die Fragen zu diesem Thema, er kommt gleich zur Sache und nennt das Verhalten „völlig inakzeptabel“. Mit dem Manager, der sofort am Montag von seinen Aufgaben entbunden worden war, werde nun hier gesprochen, um die Geschehnisse zu klären. Dabei kommt auch das im Jahr 2006 ins Leben gerufene „Business Practices Office“ ins Spiel, das Hinweise auf Regelverstöße entgegen nimmt. Hier können Beschäftigte des Daimler-Konzerns, aber auch Außenstehende, Hinweise auf schwere Verstöße gegen Gesetze oder interne Regelungen melden.

Die Aussagen des Managers waren von chinesischen Medien und in sozialen Netzwerken öffentlich gemacht worden, woraufhin ein „Shitstorm“ einsetzte, verbunden mit persönlichen Drohungen sowie der Veröffentlichung von Name, Adresse und Nummernschild. Porth sagte, öffentliche Beschimpfungen seien in China ein wachsendes Problem. Der Streit zwischen dem deutschen Manager und den Einheimischen sei in der Polizeiwache mithilfe eines Mediators beigelegt worden. Es sei ein Deal vereinbart worden, was ein übliches Verfahren sei, um Gerichte zu entlasten. Porth sagte, er wisse nicht, was vereinbart worden ist. Für die Behörden ist das Thema nun erledigt. Daimler hatte sich schon am Montag für das Verhalten des Mitarbeiters entschuldigt.

Größter Markt der Autosparte

Der Wirbel und die schnelle Reaktion des Stuttgarter Automobilherstellers sind durchaus verständlich, ist China doch seit 2015 der weltweit größte Markt für die Autosparte Mercedes-Benz Cars. Binnen zehn Jahren hat sich die Mitarbeiterzahl im Reich der Mitte auf 23 400 Frauen und Männer vervierzigfacht. Das Werk in Beijing (Peking) ist mittlerweile so groß wie Sindelfingen und Untertürkheim zusammen. Zwei Drittel der von Januar bis Oktober in China inklusive Hongkong verkauften 387 000 Fahrzeuge wurden im Reich der Mitte gefertigt.

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Stuttgarter großen Wert auf die Aus- und Weiterbildung sowie den internationalen Wissenstransfer legen, um das künftige Wachstum des Konzerns abzusichern. Hier ist Personalmanagement gefragt. „Das starke Wachstum von Absatz, lokalem Produktionsvolumen und Entwicklungsaktivitäten fordert neben den richtigen Produkten und Partnern auch die richtigen Experten vor Ort“, sagt Porth. Allein 2016in diesem Jahr sind 580 Mitarbeiter (Expats)von Daimler in Deutschland für einen Auslandseinsatz nach China umgezogen. In entgegen gesetzter Richtung sind 60 Chinesen (Impats) zur Arbeiten nach Deutschland gekommen - vor zwei Jahren waren es erst 18. Dabei geht es neben dem fachlichen Austausch darum, die Arbeitsweise einer anderen Kultur besser kennenzulernen, interkulturelle Kompetenzen aufzubauen und das Netzwerk zu erweitern. Einen kulturellen Unterschied nennt Impat Zheng Liang. In China lautet die Antwort auf die Frage, wann das Projekt fertig sei, Mitte nächsten Monats, in Deutschland am 10. des nächsten Monats. Für Expat Ruby Wigena aus Sindelfingen ist China vor allem „anders“. Sie spricht vom Reiz des Unbekannten, anderen Blickwinkeln, aber auch von deutschen Bräuchen, die mit den Chinesen geteilt werden könnten. „Daimler bietet ein Oktoberfest an. Schweinshaxe ist sehr beliebt.“

Durchschnittsalter 33 Jahre

Bei Daimler in China sind 95 Prozent der Mitarbeiter über alle Ebenen hinweg chinesischer Nationalität. „Der große Anteil lokaler Mitarbeiter stellt sicher, dass wir den chinesischen Markt und unsere Kunden verstehen“, sagt Personalmanagerin Man Jing. Das Durchschnittsalter der Belegschaft beträgt 33 Jahre. Seit zehn Jahren bildet Daimler in China nach dem dualen System aus, mehr als 4000 junge Leute haben so ihre Lehre absolviert. Die chinesische Ausbildung ist theorielastig. Zudem haben am MBA-Programm seit 2007 etwa 170 Manager teilgenommen.

Porth will die Zahl der Expats (das Wort kommt aus dem Lateinischen: ex für aus und Patria für Land beziehungsweise Vaterland) aus Kostengründen zu reduzieren. Expats seien teuer, etwa durch Zusatzkosten für die Übersiedlung der Familie. Zudem werde Daimler als Arbeitgeber attraktiver für lokale Mitarbeiter, weil diese dann bessere Aufstiegschancen hätten. Es sei wichtig, Schlüsselfunktionen in China mittel- und langfristig mit Chinesen zu besetzen. Zuletzt habe man die Zahl der Expats in den meisten Weltregionen gesenkt, im Wachstumsmarkt China hingegen deutlich aufgestockt. Bei der Arbeitgeberattraktivität sieht sich Daimler auf Platz sechs, hinter IBM, Baidu, 360, BAIC und FAW. In China sind der staatlichen Statistik zufolge 775 Millionen Menschen beschäftigt, davon 400 Millionen in Städten. Die Arbeitslosenrate beträgt seit Jahren immer 4,1 Prozent. Warum das so ist? „Planwirtschaft“, sagt Porth.