Lisa Halliday Foto: Bulgrin - Bulgrin

Mit ihrem Roman „Asymmetrie“ landete Lisa Halliday einen großen Erfolg. Bei der LesART sprach sie in der Esslinger Stadtbücherei über ihr Spiel mit Erzählperspektiven.

EsslingenZwei Lebensläufe, die unterschiedlicher nicht sein könnten, konfrontiert die Amerikanerin Lisa Halliday in ihrem ersten Roman „Asymmetrie“ (Hanser-Verlag, 23 Euro). Da ist eine junge Frau, die in New Yorks größter Literaturagentur arbeitet, und die ein Verhältnis mit einem berühmten, 40 Jahre älteren Autor beginnt. Im zweiten Teil geht es um einen amerikanisch-irakischen Ökonomen, der stundenlang auf dem Londoner FlughafenHeathrow festgehalten wird. Bei der LesART entfaltete die 41-jährige Schriftstellerin im Kutschersaal der Stadtbücherei Esslingen ihre literarische Philosophie. „Nur, wer sich in andere Personen und Perspektiven hineinversetzt, erweitert seinen Horizont“, sagte sie im Gespräch mit Literaturkritikerin Antje Deistler.

Unverkennbar trägt der erste Teil des Romans autobiographische Züge. Denn der schwer kranke Schriftsteller Ezra Blazer, der mit der jungen Intellektuellen Mary-Alice einen zweiten Frühling erlebt, ähnelt dem großen amerikanischen Literaten Philipp Roth. Mit ihm hatte Lisa Halliday in ihren Zwanzigern eine Beziehung. „Ich habe nicht meine Memoiren geschrieben, sondern einen Roman“, konterte sie die Frage der Moderatorin. Wie wichtig ihr die Freundschaft zu dem im Mai 2018 verstorbenen Romancier war, ließ sich die Autorin aber im Gespräch aber gerne entlocken. Dass die Harvard-Absolventin literarisch eigene Wege geht, zeigt ihr hoch gelobtes Erstlingswerk. „Asymmetrie“ besticht durch virtuoses Spiel mit Erzählperspektiven. Die Faszination von Hallidays Sprache, die Ironie und poetische Bilder klug balanciert, vermittelte der Schauspieler Michael Stiller stark.

Wie lustvoll sich die amerikanische Autorin, die mit ihrem Mann und einer 16 Monate alten Tochter in Mailand lebt, mit ihrer Arbeit als Autorin auseinandersetzt, zeigt ein Dialog mit dem großen Literaten über die Frage: „Wer spricht eigentlich... wer erzählt die Geschichte?“ Mary-Alice will über Politik schreiben, „Krieg, Diktaturen, Weltangelegenheiten.“ Ezra Blazer appelliert an sie, die persönliche Geschichte zu betrachten. Über den eigenen Vater zu schreiben, das sei ein Geschenk. Klug verknüpft Halliday Dialoge wie diesen mit der Erzählung in dritter Person. Diese Distanz zu den Mosaiksteinen der eigenen Biografie verwirrt das Lesepublikum auf eine angenehme Weise – und das nicht nur, wenn es Hallidays eigene Lebensgeschichte kennt. Die intimen Szenen zwischen dem alten Mann und der jungen Frau, die sie so sinnlich schildert, bilden da einen reizvollen Kontrast.

Dass das Abhängigkeitsverhältnis des ungleichen Paars in „Asymmetrie“ im Zuge der #meetoo-Debatte um sexuellen Missbrauch in den Medien auch auf Kritik stieß, wendete Moderatorin Antje Deistler in dem sehr offenen, angeregten Literaturgespräch ein. „Mary-Alice kehrt eben dieses Machtverhältnis im Verlauf der Beziehung immer weiter um“, ist Halliday überzeugt. Ihr erscheinen solche Debatten daher verkürzt. Am Ende trennt sich die junge, gesunde Literaturagentin, die ihre eigene Sprache als Schriftstellerin finden will, von dem alten, kranken Mann.

Auch die Debatte, ob sich eine US-amerikanische Autorin die Perspektive eines amerikanisch-irakischen Ökonomen mit muslimischen Wurzeln aneignen darf, greift für Halliday zu kurz. Sie habe sehr viel recherchiert, um zu erfahren, was es bedeutet, zwischen den Kulturen zu leben. In einer Zeit, da die Gräben in der Gesellschaft durch Terroranschläge und den Irak-Krieg tiefer und tiefer wurden, fühlt sich Halliday mit großer Aufrichtigkeit in den jungen Mann hinein, der an der Grenze festgehalten wird. „Als ich den Roman schrieb, hatte ich keine Ahnung, dass Präsident Trump ein Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten Ländern verhängen würde.“ Auch ihr Protagonist Amar Ala Jafaari darf nicht nach Großbritannien einreisen. Dass sie diesen Part in der ersten Person schildert, holt sein Schicksal ganz nah heran.