Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Die Welt ist voll von Absonderlichkeiten. Und wenn wir’s recht bedenken, nehmen wir manches, was aus dem Ruder läuft, schon viel zu selbstverständlich hin. Drum lohnt es sich, genauer hinzuschauen, um all das Schräge und Verquere, das sich eingeschlichen hat, zu erkennen. Einer von denen, die die Welt mit wachem Blick beobachten und das, was ihnen da begegnet, mit scharfem Verstand kommentieren, ist Max Goldt. Man schätzt ihn als Satiriker, als Kolumnisten, als sprachversierten Stilisten und als blitzgescheiten Meister der kleinen literarischen Form. Doch egal, in welches Schublädchen man ihn auch steckt - er ist vor allem eines: Max Goldt. Sein Name ist ein Markenzeichen, sein Stil ist unverwechselbar, seine Auftritte sind ein Genuss. Denn so gern man ihn liest: Wenn er seine Texte selbst präsentiert, ist das Vergnügen umso größer. Nun bescherte er dem LesART-Publikum im Schauspielhaus der WLB einen ebenso amüsanten wie erhellenden Abend.

Max Goldt heißt eigentlich Matthias Ernst, doch dieser Name wäre für einen wie ihn ein bisschen deplatziert, denn bierernst ist er nun wahrlich nicht. Wenn er spricht, bedient er sich scheinbar äußerster Ernsthaftigkeit, selbst das Verrückteste schildert er, als sei es das Normalste von der Welt. Durch diesen Kunstgriff präpariert er den Wahnsinn nur noch wirkungsvoller heraus. Max Goldts Bücher tragen Titel wie „Ein Leben auf der Flucht vor der Koralle“, „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehens“, „Mein äußerst schwer erziehbarer schwuler Schwager aus der Schweiz“ und - ganz neu - „Lippen abwischen und lächeln“ (Rowohlt Berlin, 24.95 Euro). In Letzterem hat er „die prachtvollsten Texte 2003 bis 2014“ versammelt, wie der Untertitel in aller Bescheidenheit verrät. Und wie immer fügen sich unterschiedlichste literarische Miniaturen zu einem Panoptikum der Irrungen und Wirrungen des menschlichen Lebens zusammen.

Es ist ein einziges Vergnügen, Max Goldt auf seinen Expeditionen in die Abgründe unserer modernen Welt zu folgen. Meist beginnt alles ganz harmlos - zum Beispiel mit einer Bahnfahrt, die jäh von einem notorischen Querulanten gestört wird: Goldt sitzt friedlich im Abteil, als sich ein Herr mit wachsender Impertinenz über ein Knarren echauffiert, das angeblich vom Koffer des Mitreisenden ausgeht. Und schon nimmt die Geschichte ihren Lauf: Mit einer konsequent bis ins Lächerliche überdrehten Ernsthaftigkeit schildert der Autor die Situation, gibt seinem Gegenüber ausgiebig Gelegenheit, sich gründlich zu blamieren und dadurch vollends zu demaskieren, um sodann das gesammelte Querulantenunwesen unserer Zeit aufs Korn zu nehmen: Früher musste der notorische Nörgler die direkte Konfrontation suchen, heute hat er’s bequemer - dem Internet sei Dank. In der undurchschaubaren digitalen Welt braucht er sich nur hinter irgendeinem mäßig originellen Spitznamen zu verstecken, und schon darf er ungeniert lospesten. Und keiner weiß, wer es gewesen ist.

Das Abstruse im Alltäglichen

Max Goldt beginnt gern mit einer vermeintlich harmlosen Anekdote, und ehe sich’s der Leser oder Zuhörer versieht, ist er schon mittendrin in der Abteilung Zeitdiagnose. Er schaut genau hin, seziert scheinbar Alltägliches, zieht Verbindungslinien, die den meisten niemals in den Sinn kommen würden und öffnet dem Publikum ein ums andere Mal die Augen. Und manchmal spricht er auch nur aus, was viele sich schon länger gedacht hatten - nur dass Max Goldt seine Beobachtungen mit so viel scharfsinnigem Verstand, satirischer Finesse, feinsinniger Ironie und sprachlicher Virtuosität auf den Punkt bringt, dass man nur staunen kann: So würden viele seiner Fans auch gerne formulieren können.

Manche sehen in ihm einen Meister des Absurden, doch mit diesem Etikett kann Goldt nichts anfangen: „Ich mag das Wort nicht. Alles, was den Leuten komisch vorkommt, nennen sie absurd. Das hat in den 80ern mit Helmut Kohl angefangen, der das Wort inflationär gebraucht hat. Seither kann ich ‚absurd’ nur noch in kleinen Dosen vertragen.“ Doch wie man so etwas nennen mag: Was ihm im wahrsten Wortsinn merkwürdig erscheint, bürstet er genüsslich gegen den Strich - ganz egal, ob es um sprachliche Verirrungen, seltsame Kindernamen, Kommentare auf Hotel-Portalen im Internet, die ach so beliebte Irrtümer-Berichtigungs-Literatur oder Erlebnisse während einer Journalistenreise nach Katar geht. Zwischendurch streut er in Esslingen kleine Texte aus seinem Buch „Räusper“ ein, für das er Comics zu Dramoletten umgearbeitet hat. Und je länger er das Publikum mit seinen Texten erheitert und erhellt, desto mehr möchte man von diesem außergewöhnlichen Künstler hören, der nicht nur brillant schreibt, sondern auch perfekt performt. Denn Autoren, die unsere Zeit so klug und prägnant kommentieren, sind Gold(t) wert.