Felicitas Hoppe mit EZ-Chefredakteur Gerd Schneider Foto: Bulgrin - Bulgrin

In ihren neuem Buch „Prawda. Eine amerikanische Reise“ zieht Felicitas Hoppe das Resümee einer Amerika-Tour, die sie nach einem literarischen Vorbild antrat.

EsslingenFelicitas Hoppe hat lebhafte Erinnerungen an Esslingen, wo sie als erste Bahnwärter-Stipendiatin 1996 ein paar Monate verbrachte und gespannt auf das Erscheinen ihres ersten Buches wartete: Im kleinen Domizil jenseits der Gleise im Merkelpark habe sie gelernt, am Klirren des Geschirrs im Regal zu unterscheiden, welche Art Zug da durchs Neckartal fährt. Mittlerweile zählt Felicitas Hoppe zu Deutschlands besten Autorinnen, ist vielfach preisgekrönt und war zum wiederholten Male bei den Literaturtagen LesART zu Gast. Am Sonntagabend stellte sie im Schauspielhaus ihr ebenso hochkomisches wie hochpoetisches Buch „Prawda“ (S. Fischer Verlag, 20 Euro) vor und gab Einblick in ihre ganz eigene Art des Schreibens und Erzählens.

2010 hat Felicitas Hoppe „Das eingeschossige Amerika“ gelesen, ein Buch, das die beiden russischen Schriftsteller Ilja Ilf und Jewgenij Petrow 1935 im Auftrag der russischen Zeitung „Prawda“ nach einer Tour durch Amerika geschrieben haben. 2015 fuhr sie selbst diese Reise nach – von Boston nach San Francisco einmal quer durch die USA und zurück, rund 10 000 Meilen im Auto. Und das, wo sie doch eigentlich ein „Stubenhocker“ sei und gar nicht so gern reise: „Das Ziel ist mir nicht so wichtig. Aber das Unterwegssein bringt bei mir Dinge in Bewegung.“ Es habe sie gereizt, dem Buch von Ilf und Petrow hinterher zu fahren: „Mit dem Buch im Auto sitzen, während draußen das vorbeifährt, worüber man gerade liest. Und sich die Frage stellen: Was machen Schriftsteller, wenn sie über das schreiben, was sie da sehen?“

Das Reiseprotokoll und -tagebuch ihrer Tour auf den Spuren von Ilf und Petrow lässt sich anhand von Bildern, Hörbeispielen und Texten auf einer Webseite nachvollziehen. Hoppes später entstandener literarischer Reisebericht in „Prawda“ strotzt nur so von in rasantem Tempo absolvierten spannenden Beobachtungen, köstlichen Begebenheiten, skurrilen Begegnungen, surrealen Vorkommnissen, assoziierenden Gedanken und überaus klugen Betrachtungen. Im angeregten Gespräch mit Moderator Gerd Schneider erläuterte Felicitas Hoppe ihre Arbeitsweise als Schriftstellerin: „Das Grund- und Ausgangsmaterial ist absolut real. Dann verändere und transformiere ich, das ist ein bisschen wie eine Metamorphose“, erklärte sie. Manches werde „fantastisch umgebürstet“, und so schreibt sie mit spürbarem Genuss ihrem reisenden Alter Ego eine lebhafte Konversation mit Lisa Simpson aus der bekannten Zeichentrickserie ins Buch, oder sie lässt sich – als sie eine Auszeit von ihrer nervigen Reisegruppe braucht – kurzerhand von einem Tornado entführen. „Das kann eben nur Literatur“, gestand sie und zitierte den tschechischen Schriftsteller Bohumil Hrabal: „Literatur dient dazu, die Wirklichkeit mit Hilfe der Fantasie zu präzisieren.“ Sie gab zu bedenken, dass auch ein Ehepaar, das nach einer Reise zum Dia-Abend einlädt, seine ganz speziellen Geschichten von seiner touristischen Tour erzählt: „Jeder arbeitet mit einem Moment Fantasie.“ Und selbst eine Fata Morgana oder Träume seien Teil unserer Wirklichkeit: „Man erlebt auch Dinge, die es nicht gibt, die uns zuweilen ganz schön auf den Pelz rücken.“ Auf ihrer „Prawda“-Reise nimmt Felicitas Hoppe immer wieder spezifisch Amerikanisches in den Blick: Motels, begnadigte Truthähne und Henry Ford, der den amerikanischen Mythos vom Bauernjungen zum Multimillionär verkörpert wie kein zweiter und in dessen Museum in einem Reagenzglas der letzte Atemhauch von Thomas Alva Edison, Begründer der Elektrifizierung und Erfinder der Glühlampe, ausgestellt ist. Sie begegnet jeder Menge Superlative und Verrücktheiten, „so kurios, dass man sie nicht erfinden kann, man muss sie nur sammeln. Dem, wie Amerika sich erfunden hat, kann eine Felicitas Hoppe gar nicht hinterherdichten“, konstatierte sie trocken.

Sie spürt diesen amerikanischen Mythen, Selbstinszenierungen und Nacherzählungen nach und vergleicht sie mit Märchen: „Angesichts der knallharten, grausamen Wirklichkeit, die der Erzähler nicht akzeptiert, kommen Wünsche ins Spiel. Realismus, Grausamkeit und Not sind der Ur-Grund jedes Märchens. Das bringen die Amerikaner zur Perfektion.“ Einen Seitenhieb auf die aktuelle Situation in den USA konnte sie sich nicht verkneifen und erhielt dafür in Esslingen Szenenapplaus: „Es ist besser, wenn das in Hollywood bleibt und nicht Politik wird.“

Das wahre Amerika habe sie auf ihrer Reise nicht gefunden: „Nein, das gibt es nicht, das wahre Amerika, ebenso wenig wie es das wahre Europa, Deutschland oder Esslingen gibt“, betonte sie. Im besten Fall sei es ihr gelungen, die Vorstellung von diesem Land wie ein Mosaik herauszubilden. Felicitas Hoppe hat in den USA studiert, unterrichtet immer wieder dort, sie liebt das Land, vor allem den Mittleren Westen, und sie plädiert für eine differenzierte Wahrnehmung Amerikas: „Es ist hochkomplex. Es tut Not, sich damit zu befassen.“ Um sich annähernd ein Bild machen zu können, empfahl sie am Ende des Abends: „Lesen Sie Ilf und Petrow. Lesen Sie Hoppe. Reisen Sie selbst. Und schreiben Sie Ihr eigenes Buch.“