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Der Diplom-Psychologe Ahmad Masour kämpft gegen Extremismus und für Integration. Er fordert eine offene Auseinandersetzung mit drängenden Problemen und warnt vor falscher Toleranz.

EsslingenWer einen lockeren Leseabend erwartet hatte, war beim Auftritt von Ahmad Mansour bei der LesART fehl am Platze. Der 42-Jährige war nicht zum Esslinger Literaturfestival gekommen, um schöne Worte zu verlieren. Im Kronensaal der Kreissparkasse sprach er tiefgreifende Probleme und unbequeme Wahrheiten an, die auch manchem im Publikum zu denken geben dürften. Ganz nach dem Motto „Klartext zur Integration – Gegen falsche Toleranz und Panikmache“, dem Titel seines jüngsten Buches.

Für seine klaren Worte wird der palästinensische Israeli mit deutschem Pass vielfach hoch geschätzt, allerdings auch oft kritisiert – und von manchen abgrundtief gehasst. Wie sehr, ließ sich an den hohen Sicherheitsvorkehrungen für die Veranstaltung ablesen: Am Eingang gab es Kontrollen wie am Flughafen, die Gänge wurden von Sicherheitskräften abgesichert und rechts und links vom Podium waren zwei Body Guards in sichtbarer Alarmbereitschaft postiert. Ahmad Mansour ließ sich davon nicht beeindrucken. „Das sagt mehr über die Gesellschaft aus als über mich“, fand er – und tat, was der Titel seines Buches (S. Fischer Verlag, 20 Euro) verspricht: Er sprach Klartext zur Integration.

Es sollte eine ungewöhnliche Lesung werden – nämlich eine, in der gar nicht gelesen wurde. Statt aus seinem Werk zu zitieren, stellte Mansour sich und sein Kernanliegen lieber in einer freien und sehr persönlichen Rede vor, bevor er sich den Fragen von Christian Dörmann, Lokalchef der Eßlinger Zeitung und Moderator an diesem Abend, sowie später den Fragen des Publikums stellte. Und reden kann der Diplom-Psychologe, der für Projekte gegen Extremismus arbeitet. Etwa über seine persönliche Geschichte: Eindrücklich schilderte er, wie er 2004 von Israel nach Deutschland kam, sich unglaublich schwer tat, hier anzukommen und nur nach und nach Fuß fasste in einer Gesellschaft, die ihm abweisend und kalt erschien. Wie er dann seine Frau kennenlernte und irgendwann zum Musterbeispiel für Integration wurde – allerdings nicht für seine Schwiegereltern: „Sie finden, dass ich nicht gut integriert bin: Ich esse kein Schweinefleisch, schaue keinen Tatort und gehe sonntags nicht spazieren“, erzählte Mansour mit einem Augenzwinkern. Trotz des schweren Themas blitzte im Lauf des Abends immer wieder Humor bei ihm auf.

Im Fokus aber stand – wie auch in seinem Buch – sein Herzensanliegen: Die Integration von Zuwanderern und der Kampf gegen religiösen Extremismus. Für Mansour hängt das zusammen. Doch seiner Meinung nach wird beides nicht konsequent genug verfolgt. Aus Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden oder als islamfeindlich zu gelten, lasse man radikalen Kräften in Deutschland viel zu viel durchgehen. Die Politik hofiere konservative muslimische Verbände, die Angst und Gewalt in der Erziehung erlaubten, Frauen als Menschen zweiten Ranges ausgrenzten, und vor der deutschen Mehrheitsgesellschaft warnten. Und der Rechtsstaat knicke im Namen von interkultureller Kompetenz und Deeskalation allzu oft ein, wenn konservative Muslime auf Religionsvorschriften verwiesen, um Regeln zu umgehen.

Auf der anderen Seite wüssten viele Zugewanderte, die aus patriarchalen Gesellschaften kommen, nicht mit den Freiheiten in Deutschland umzugehen. „Sie kommen her, weil es hier eine bessere Gesundheitsversorgung gibt, eine bessere Schulbildung für ihre Kinder und größeren Wohlstand. Aber sie verstehen nicht, dass das alles auf der Aufklärung beruht, darauf, dass die Religion hinterfragt wurde.“ Viele von ihnen seien nie zur Mündigkeit erzogen worden. Er kenne junge Männer, die ihrem Vater nie widersprechen würden: „Wenn der Vater sagt, dass eine blaue Hose gelb ist, dann ist sie gelb.“ Auch mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau sei es in konservativen muslimischen Kreisen oft nicht weit her.

Über all das müsse man reden – mehr noch: streiten. Nur, wenn die Themen angesprochen und die Probleme benannt würden, könne man auch Lösungen finden. Schweige man über die Missstände, dann überlasse man radikalen und rechten Kräften das Feld. Doch in Deutschland fehle die Streitkultur und es fehle eine selbstbewusste Mehrheitsgesellschaft, die für ihre Werte einstehe und klare Regeln für alle vorgebe. Dabei sei klar: Migranten haben Rechte, aber auch Pflichten. Und die Grenze der persönlichen Freiheit sei das Grundgesetz.

Ahmad Mansour hat eine klare Haltung, aber er argumentiert differenziert, nicht pauschal – sowohl in seinem Buch als auch auf dem Podium. Und stets hat er anschauliche Beispiele aus seiner Arbeit in Flüchtlingsunterkünften und Gefängnissen oder mit Behörden parat. Beispiele etwa von Polizisten, die auf den Wunsch muslimischer Temposünder oder Straffälliger eingehen, nicht mit Frauen sprechen zu wollen, oder von verurteilten Terroristen, die erstmals die Beziehung zu ihrem Vater reflektieren. Mansour hält es für unhaltbar, wenn muslimische Eltern ihren Töchtern den Schwimmunterricht verbieten können: „Wer in Kauf nimmt, dass ein deutsches muslimisches Mädchen weniger lernt als ein anderes deutsches Mädchen, betreibt nicht Toleranz, sondern Rassismus“, betonte er bei der LesART. Und bedauerte etwa auch, dass die Diskussion um das Foto der Fußball-Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan tabuisiert worden sei – obwohl sie seiner Meinung nach Werbung für einen Diktator machten.

Trotz der vielen kritischen Fragen von EZ-Lokalchef Dörmann war Mansour nie um eine Antwort verlegen. Dieser Mann hat eine Mission: die Integration. Er hält sie für eine der drängendsten Aufgaben der nächsten Jahre und hat klare Vorstellungen davon, wie sie gelingen könnte. Zum einen durch standardisierte Integrationsarbeit, ein neues Bildungskonzept und einen selbstbewussten Rechtsstaat. Vor allem aber durch Diskussionen und Streit um die beste Lösung.