Von Alexander Maier

Es gehört zu den Vorzügen der Esslinger LesART, dass sie manche Autoren über viele Jahre hinweg auf ihrem literarischen Weg begleitet. Man kennt sich, man schätzt sich, und das Publikum wartet schon gespannt aufs nächste Buch. Wilhelm Genazino gehört zu jenen Gästen, mit denen das Wiedersehen besondere Freude macht: ein lebenskluger, gescheiter und mit feinsinnigem Humor gesegneter Autor, der das Leben und die Menschen aufmerksam beobachtet. Und der ein besonderes Faible für diejenigen hat, denen ihr Dasein einiges abverlangt, die am Alltag scheitern und die sich ihr Leben immer irgendwie zurechtbiegen.

Wer Wilhelm Genazinos Roman „Außer uns spricht niemand über uns“ (Hanser Berlin, 18 Euro) liest, taucht ein in die vertraute literarische Welt dieses vorzüglichen Autors. Sein Ich-Erzähler ist eine jener tragischen Figuren, denen Genazino gerne seine Aufmerksamkeit schenkt. Der erhoffte Erfolg als Schauspieler ist ihm versagt geblieben, sein Leben verläuft ohne große Höhepunkte. Trotzdem hat er sich in seiner bequemen Mittelmäßigkeit irgendwie eingerichtet - nur selten gelingt es seiner Freundin Carola, ihn zu stärkeren Emotionen zu bewegen. Dass sie ihn über manche Tiefen hinweg trägt, merkt er erst, als sie ihn nicht mehr erträgt, ihn verlässt und sich schließlich das Leben nimmt.

Carolas Freunde sind fassungslos und versuchen, Erklärungen für diesen Schritt zu finden - die meisten sind ratlos und ziehen sich zurück, was sich Genazinos Erzähler so erklärt: „Natürlich nicht, weil ihnen nach Abkapselung ist, sondern weil sie ohne Gegenwehr und fassungslos miterleben müssen, dass die verquatschte Fernsehgesellschaft vergessen hatte, dass wir das Private nicht ohne weiteres vergesellschaften können.“ Allein die Mutter seiner Freundin kümmert sich um den Verlassenen. Doch die Frage bleibt: Kann sie ihn retten? Und will er überhaupt gerettet werden? Die Antwort gibt Wilhelm Genazino in seinem Roman, der uns einmal mehr daran erinnert, dass das Private, um das seine Bücher gerne kreisen, sehr wohl eine politische Dimension hat. Und die lotet kaum einer überzeugender aus als dieser wunderbare Romancier, der manchmal die Geduld mit seinem Protagonisten zu verlieren scheint.