Der Autor Sten Nadolny schreibt mit fantasievollem Hokuspokus. Quelle: Unbekannt

Von Gaby Weiß

Der Zauberer Pahroc ist ein Meister seines Fachs. Er beherrscht keine Zaubertricks, sondern hat tatsächlich übersinnliche Fähigkeiten: Er kann „mit langer Hand“ Unerreichbares erreichen, er kann durch die Luft schweben, durch Wände gehen, sich unsichtbar machen, zu einem Insekt werden, sich in Stahl verwandeln und Geld herbeizaubern. All diese Fertigkeiten sind für den 1905 Geborenen mehr als nützlich, um Zeiten von Not und Hunger zu überleben, um später subversiv gegen die Nazis und „den Mann mit dem rechteckigen Nasenbart“ vorzugehen, um die Belagerung Stalingrads zu überstehen und um seine Familie zu ernähren. Weil er als echter Zauberer seine Begabung geheim halten muss, geht er als Küster, Erfinder, Pyrotechniker, Privatpilot, Fluchthelfer und Psychotherapeut immer einem normalen Beruf nach. Und dem ebenso humorvollen wie eigensinnigen Pahroc, der seine Talente im Geiste der Menschlichkeit einsetzt, bleibt nicht erspart, dass er sich auch mit bösen Zauberern auseinandersetzen muss, die ihre Befähigung zu unlauteren Zwecken nützen.

In seinem neuen Buch „Das Glück des Zauberers“ (Piper-Verlag, 22 Euro) lässt Sten Nadolny den weit über 100 Jahre alten Pahroc kurz vor seinem Tod in zwölf langen Briefen an seine Enkelin Mathilda auf sein Leben zurückblicken. Das titelgebende „Glück des Zauberers“ ist diese 2011 geborene Enkelin. Auch sie hat, davon ist der Großvater überzeugt, magische Fähigkeiten. Die Briefe mit Pahrocs Lebensgeschichte soll sie jedoch erst zu lesen bekommen, wenn sie erwachsen ist.

Mit Pahrocs Geschichte erzählt Sten Nadolny die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ob ein Zauberer mit seinen übersinnlichen Fähigkeiten tatsächlich leichter durchs Leben kommt und ob er wirklich den Verlauf der Geschichte ändern kann, das sei an dieser Stelle nicht verraten. Nadolny schreibt mit viel fantasievollem Hokuspokus, literarischem Charme, Lust am Grotesken und Herzenswärme von einem Zauberer, der sich über die Wirklichkeit hinwegsetzen, Raum und Zeit überwinden und fantastische Möglichkeiten ausloten kann und der dadurch jede Menge Freiheiten genießt - ganz wie ein Schriftsteller das beim Schreiben von Geschichten auch tun kann. Dem 1942 geborenen Autor, dessen Werke vielfach preisgekrönt wurden und dessen Welterfolg „Die Entdeckung der Langsamkeit“ über den Polarforscher John Franklin mittlerweile zu den Klassikern der modernen deutschsprachigen Literatur zählt, ist mit „Das Glück des Zauberers“ ein märchenhaftes Plädoyer für Fantasie und Menschlichkeit gelungen. Wer bereit ist, sich auf den kindlich-staunenden Blick Pahrocs, seinen Mut zum Träumen und seine Lebensweisheiten einzulassen, den wird dieser Roman verzaubern.