Sie klingen nostalgisch, sind aber nicht aus der Zeit gefallen: Auch im gesetzten Alter fehlt es den Hollies (von links: Steve Lauri, Ray Stiles, Peter Howarth, Bobby Elliot, Tony Hicks und Ian Parker) weder an Können noch an übermütiger Spiellaune. Die Briten zelebrieren eine Hommage an die klassische Beatmusik, mit der sie vor gut 50 Jahren erfolgreich wurden. Foto: Stefan Brending Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - The Hollies waren einst fast so erfolgreich wie die Beatles. In ihrer Heimat England hatte die Pop-Beatband sogar mehr Hits in den Charts als die Liverpooler Pilzköpfe. Bei vielen ihrer Aufnahmen saß ein Junge namens Reginald K. Dwight, der später als Elton John berühmt wurde, als Gastmusiker am Piano. Den Hollies erging es ähnlich wie dem griechischen Sagenkönig Midas: Vieles was sie anfassten wurde zu Gold. Trotzdem stand das Quintett, das sich 1962 in Manchester gegründet und ein Jahr später bereits einen Vertrag bei der Beatles-Plattenfirma Parlophone unterschrieben hatte, immer im Schatten der Beatles. Anders als die Liverpooler blieben die Hollies gegenüber stilistischen Experimenten zurückhaltend. Sie bevorzugten einen eher leichtgewichtigen Pop-Sound und einen von den Everly Brothers beeinflussten Harmoniegesang, der zu ihrem Markenzeichen wurde. Doch irgendwann lief sich dieser Sound tot.

Den drei-, teils vierstimmigen Gesang beherrschen die Hollies auch 55 Jahre später noch. Manche nennen es Saccharin-Sound, weil er so hinreißend süßlich klingt. Peter Howarth, einst Backing Boy bei Cliff Richard, ist beim Auftritt in der Stuttgarter Liederhalle einer dieser stimmlichen Zuckerbäcker. Mit Kraft und Klarheit schmettert er die Töne. Der 57-Jährige Leadsänger aus Blackpool, der erst 2004 zu den Hollies stieß und auch ein guter Gitarrist („Priceless“) ist, übernimmt zudem die meisten Ansagen: launig, aber bescheiden, so wie sich die gesamte Band gibt.

Federnd-schunkeliges Fundament

Tony Hicks (71) - konstante Größe der Hollies, 1963 von der Manchester-Skiffle-Band The Dolphins gewechselt und damals eigentlich nur auf einen kurzen Flirt mit dem Ruhm aus - sowie Steve Lauri (63) sind dagegen nicht ganz so prägnant in der Lage, die falsettartige Stimme von Allan Clarke zu ersetzen. Clarke, mittlerweile im Ruhestand, hatte die Hollies zusammen mit seinem Schulfreund Graham Nash gegründet, der ab 1968 mit Crosby, Stills & Nash reüssierte. Der von Bruce Springsteen hochgeschätzte Schlagzeuger Bobby Elliott (75), seit 1963 in der Band, Ray Stiles (70) am Bass und der Schotte Ian Parker (63) an Keyboards und Akkordeon liefern das federnd-schunkelige Fundament für die gefälligen Melodien, die schönen Harmonien und den aufsteigenden Gesangsstil.

Das nahezu ausverkaufte Konzert ist ein launiges, leicht verdauliches Hitprogramm. Upbeat-Popsongs wie „Sorry Suzanne“, „Jennifer Eccles“, „On a carousel“ in leichter Variation, ihr erster internationaler Hit „Bus Stop“, der Nummer-eins-Hit „I’m alive“, „Carrie Anne“ oder „Stop! Stop! Stop!“ sind eine schier endlose, aber kurzweilige Reihe von funkelnden Pop-Edelsteinen: schön anzuhören und ungemein melodisch. Dazwischen streuen die alle adrett in schwarzen Hosen, weißen Hemden und Krawatten auftretenden Herren puderzuckrig Coverversionen von Maurice Williams & the Zodiacs („Stay“), den Supremes („Stop! In the Name of Love“) oder von Springsteen („4th of July, Ashbury Park“). Mit den größten Applaus gibt es für das Kelly-Gordon-Cover „He ain’t heavy, he’s my brother“, vielleicht der Hollies-Song schlechthin, nicht nur, weil es ebenfalls eine Nummer eins in Großbritannien war. Die dramatische Ballade mit opulenten Streichern geht unter die Haut. Eindringlich, aber ungemein rockig kommt auch „Look through any Window“ daher. Das Stück von 1966, das Hicks mit einem Gitarrensolo à la Mark Knopfler veredelt, zeigt, zu welchen Höhenflügen die Band hätte ansetzen können. Als Nash 1968 abwanderte, fehlte aber ganz offensichtlich ein kreativer Stimulus.

Alles live

Viel Nostalgie ist in der Liederhalle zu spüren. Und viel Gemütlichkeit. Das Publikum, das mit den Hollies zusammen in die Jahre gekommen ist, wippt sitzend mit, lehnt sich zurück und lässt sich von der klassischen Beatmusik entspannt zurück in die Vergangenheit tragen. Erinnerungen haben eine starke Kraft - und befeuern eine auch soundtechnisch angenehme Sixties-Party. Die Band zeigt sich in teils übermütiger Spiellaune, jede Menge Personalwechsel haben dem Gemeinschaftssinn nicht geschadet. Ihre instrumentalen Fähigkeiten sind fehlerlos und verdienen Hochachtung. Das gilt besonders für Elliotts Trommelspiel, immer schon das andere Markenzeichen des Hollies-Sounds. Elliott schlug einst bei einem Vorspiel sogar Keith Moon aus dem Rennen, der später bei The Who unterkam. Das Bemerkenswerteste aber ist: Die Hollies spielen alles live, wo viele Oldie-Bands heute mit Halb- oder gar Vollplayback agieren. Das Sextett, seit über 50 Jahren ununterbrochen auf Tour, ruht sich keine Minute auf seinen Lorbeeren aus.

Zwei Stunden lang servieren die Hollies - der Name ist entweder eine Hommage an Buddy Holly oder eine Verneigung vor einem englischen Weihnachtsbrauch mit Holly-Stechpalme über der Tür, niemand weiß das so genau - gute britische Beat- und Popmusik. Als erste Zugabe zelebrieren sie ihren letzten großen Charts-Erfolg „The Air that I breathe“. Die herzzerreißende Liebesballade, 1972 von Albert Hammond geschrieben, wurde erst zwei Jahre später dank der Hollies zum Welthit. Mit „Long cool woman in a black dress“ verabschieden sie sich endgültig. Bei dem Stück, das in den USA merkwürdigerweise ein Hit wurde, in England aber floppte, zeigt die Band unaufgeregt und lupenrein sauber, dass sie immer noch ein As im Ärmel haben. Sie vereinen Können, Offenheit, Bescheidenheit und Würde. Die Hollies klingen zwar altmodisch und entschleunigt. Aus der Zeit gefallen sind sie nicht.