Foto: Haymann - Haymann

Éric-Emanuel Schmitts „Kleine Eheverbrechen“ in einer sehenswerten Inszenierung im Stuttgarter Forum-Theater

StuttgartEin gutbürgerliches Wohnzimmer mit Esstisch und Couch. Auf übergroßen Lettern sind die Wörter zu lesen: „Essen“, „Küche“, „WC“, „Garten“. In diese Struktur kehrt Gilles aus dem Krankenhaus nach einem Gedächtnisverlust zurück . Vorsichtig und einfühlsam leitet seine Ehefrau Lisa ihren desorientierten Gatten durch die Wohnung (Bühne: Philipp Kiefer). „Ich habe die Erinnerung an mich selbst verloren“, erklärt Gilles. Im Krankenhaus, so erzählt er Lisa, die er beharrlich siezt, sei eine attraktive Krankenschwester ohne Kittel an sein Bett getreten und habe behauptet, seine Frau zu sein. „Ich bin diese Frau“, sagt Lisa.

Éric-Emmanuel Schmitts Kammerspiel „Kleine Eheverbrechen“, das jetzt im Stuttgarter Forum-Theater Premiere hatte, ist im ersten Drittel sehr amüsant, beinahe eine Komödie. Und erst einmal geschieht Gilles etwas ganz Wunderbares. Lisa erzählt ihm, wer er ist, er weiß es ja nicht mehr. An der Wand hängen Bilder, die er gemalt habe. Gilles ist von ihnen begeistert. Er entdecke gerade, was für ein toller Typ er sei. Später stellt sich heraus, dass Lisa die Urheberin der Gemälde ist. Doch sie schwärmt in den höchsten Tönen von ihrem Mann, der ein brillanter Theoretiker und ein treuer Ehemann sei. Udo Rau spielt den Mann ohne Gedächtnis als smarten Intellektuellen, der kühl und ironisch mit seinem Leiden umgeht. Lisas Lobrede genießt er. Sie aber erlaubt sich auch kleine Spitzen. Gilles’ Theorien ließen sich im Kern auf die Devise „Bloß nichts anpacken!“ reduzieren. Auch findet sie seine Eigenliebe bemerkenswert; der Krimiautor Gilles hat alle seine Bücher sich selbst gewidmet. Man ahnt, dass das Geplänkel zwischen den beiden nicht so locker weitergeht. Gilles’ Erinnerungsverlust ist natürlich ein Kunstgriff Éric-Emmanuel Schmitts, um die Ehe der beiden Protagonisten auszuleuchten, und das tut er mit atemberaubender Erbarmungslosigkeit. Verblüffende Wendungen hat Schmitt für sein Publikum parat, sein anderthalbstündiger Ehekrieg bleibt bis zur letzten Minute spannend. Die Regisseurin Karin Eppler hat das Ehedrama in stimmigem Rhythmus inszeniert. Bisweilen herrscht eine halbe Minute Schweigen, dann wieder gelingt eine rasante Verdichtung im Dialog-Pingpong des Paares. Schirin Brendel spielt eindrucksvoll die Facetten Lisas, die erst als beherrschte Gattin auftritt und später mächtigen Emotionen freien Lauf lässt. Nach dem vergnüglichen ersten Drittel des Stücks geht es ans Eingemachte. Gilles und Lisa packen ohne Umschweife aus, sie erklären, was sie zu gewaltigen Aggressionen gegen den anderen antreibt und was sie an ihm lieben.

Schmitts Stück ist ein Versuch zu erklären, was Liebe sein könnte. Droht da Kitschgefahr? Im Prinzip ja, Schmitt aber lotet mit Lisa und Gilles, seinem sperrigen Duo, klug und einleuchtend Grundsätzliches in Paarbeziehungen aus. „Wir können uns trennen, aber wir können uns niemals verlassen“, sagt Lisa. Was für ein aufregender Satz – davon gibt es noch viel mehr in der sehenswerten Inszenierung.

Weitere Aufführungen vom 19. bis zum 21. sowie vom 26. bis 28. April.