Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Oh holde Liedkunst, zartes Pflänzchen der Konzertkultur. Überfüllt sind Liederabende selten. Weswegen es die Stuttgarter Hugo-Wolf-Akademie, die sich ausschließlich dem Hegen und Pflegen dieses Pflänzchens verschrieben hat, nicht ganz einfach hat. Dass sie sich nun in ihrer neuen Konzertreihe „Stuttgarter Premiere“ auch den allerneuesten Werken dieser schon oft totgesagten Gattung widmen möchte, ist mutig und ambitioniert. Denn das Neue hat es erst recht nicht einfach.

Zwei Gesang-Klavier-Duos wechselten sich ab im Stuttgarter Hospitalhof. Bariton Holger Falk begann mit dem Zyklus „Ich mag es wie ihr Wölfe“, in dem Steffen Schleiermacher 2015 drei Gedichte des rumänischen Surrealisten Gellu Naum vertont hat. Der Leipziger Komponist, der sich in Sachen Neuer Musik auch als herausragender Pianist einen Namen gemacht hat, saß selbst am Klavier. Holger Falk setzte die recht plakative Vertonung plastisch um, schrie einzelne Worte wie „sterben“, „Katastrophe“, „Messer Messer Messer“ in der ansonsten lethargischen Stimmung dieser Lieder besonders erschreckend heraus. Nett, wenn auf das Wort „Spinne“ tapsende Klaviertöne die Stimme verfolgen. Oder wenn der Flügel wuselnde Skalen beisteuert - „Schlangen“ haben im zugrundeliegenden Poem ja schließlich „die Klaviere überschwemmt“. Aber wirken Naums Texte nicht stärker, wenn man ihnen die Freiräume zwischen den Worten lässt und sie nicht mit Klängen zukleistert?

Komponiert man Lieder, muss man sich die Frage stellen, wo der ästhetische Mehrwert für die vertonte Lyrik liegt. In dieser Hinsicht kam man bei fast allen Liedern dieses Abends ins Grübeln. Zum Beispiel im Falle von Manfred Trojahns „Das Jahr geht mit deinem Tod“. Es ist Musik auf einen erschütternd privaten Text: einen Tagebucheintrag der Dichterin Marina Iwanowna Zwetajewa, die darin verzweifelt versucht, den Tod ihres geliebten Mannes zu begreifen, der vom Stalin-Regime der Spionage verdächtigt und hingerichtet wurde. Die oft aufdringliche, finstere Klangsphäre, in die Trojahn den Text hineinzerrt, mindert die Wirkung des Texts. Still gelesen trifft er viel direkter ins Herz. Zumal einige Worte durchs Singen verzerrt und unverständlich werden, etwa „Tod“, das als scharf angesungener Hochton aus dem Mund von Sopranistin Caroline Melzer wie „Tat“ klingt.

Der romantisch-dunkle, dramatische Shakespeare-Liederzyklus „Cleopatra“, den Alexander Muno 2012 komponiert hat, könnte auch einer Oper entstammen. Das sieht Melzer offenbar auch so - und beantwortet den virtuos-aufgeregten Klavierpart Axel Baunis mit oft ohrenbetäubender Höhe.

Auch in diesem Konzert blieben die männlichen Komponisten mal wieder unter sich. Was ist mit Komponistinnen wie Isabel Mundry, Adriana Hölszky, Younghi Pagh-Paan? Alle haben sie sich ausgiebig mit der menschlichen Stimme auseinandergesetzt - auch wenn sie sich oft von der konservativen Klavierbegleitung verabschiedet und auf ungewöhnlichere Instrumentalfarben gesetzt haben. Dem Lied tun solche zusätzlichen Nuancen gut. Daher wirkte Axel Baunis Griff in die Flügelsaiten, den Aribert Reimann in seinen „Rilke-Fragmenten“ fordert, richtig erfrischend.