Foto: WLB Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Theater ist, wenn’s anders kommt: „Nie wieder Rumreisen“, schwor sich der junge Schauspieler Rudolf Schulz, nachdem er erste Erfahrungen mit strapaziösen Gastspielen gemacht hatte. Nun, es kam ganz anders. 1970 ließ sich Schulz von dem neuen Intendanten Elert Bode an die Württembergische Landesbühne Esslingen (WLB) locken. Und er blieb 32 Jahre lang Ensemblemitglied - obwohl der Gastspielbetrieb zu den wichtigsten Aufgaben der WLB zählt. Seine letzte Reise musste Rudolf Schulz, wie erst jetzt bekannt wurde, am 24. Oktober antreten: Er starb im Alter von 79 Jahren in Esslingen.

Eine völlig untheatralische Art des „Rumreisens“ war schon in jungen Jahren sein Schicksal: 1937 in Köslin zwischen Stettin und Danzig geboren, gelangte er als Halbwaise - sein Vater war in Stalingrad gestorben - mit den Vertriebenentrecks erst nach Hamburg, dann nach Frankfurt am Main, wo ein Onkel lebte. Auch dies eine schicksalhafte Fügung, denn der Onkel war Theaterarzt und hatte stets eine zweite Freikarte parat. So verbrachte der junge Rudolf beinahe mehr Zeit in den Vorstellungen als in der Schule. Trotzdem machte er ordnungsgemäß sein Abitur, war froh, endlich die naturwissenschaftlichen Fächer los zu sein, schrieb sich für Germanistik und Geschichte ein. Lehrer sollte der Bub werden. Auch das kam, theaterinfiziert, anders. Schulz wurde an einer renommierten Wiesbadener Schauspielschule aufgenommen, an der Frankfurter Uni besuchte er nur noch die Vorlesungen Adornos, der ihn schwer beeindruckte. Möglicherweise nahm er aus den Gedankenjonglagen des Philosophen sein Faible fürs experimentelle Theater mit.

Der Praxisschock blieb freilich nicht aus: Als Schauspieler und Dramaturg in Mainz habe er gelernt, wie Theater nicht sein soll, nämlich langweilig, sagte er später einmal. Esslingen empfand er eher als lohnende Herausforderung. Über 30 WLB-Jahre mit 115 Rollen hätte er sich freilich nicht träumen lassen. Vielleicht machte ihn „seine Uschi“ sesshaft, Buchhändlerin und später WLB-Souffleuse. 1983 wurde geheiratet, neben der Bühnenprofession unterstützte Schulz seine Frau in der Blauen Insel, einer liebevollen Sammlung von ausrangierten Puppen und Knuddelbären in der Esslinger Küferstraße.

Im Gedächtnis bleiben wird Schulz, den Helden- oder eindimensionale Typenrollen nie interessierten, als Darsteller komplexer Charaktere. Er verstand es, väterliche Ausstrahlung mit seelischen Abgründen zu verbinden, er konnte wirken wie der Psychiater, der sein eigener Patient ist. Empathie und distanzierte Rollenanalyse waren bei ihm kein Widerspruch, sondern fügten sich zu psychologischer Präzision. Die Rampensau lag Rudolf Schulz nicht in der Theater-DNA, wohl aber der Meister der Zwischentöne und Feinheiten.