Die Kunst der Rekonstruktion und Imagination: Bildhauer Waldemar Schröder und seine Hölderlin-Modelle. Foto: oh Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Süßen/Nürtingen - Ein schöner Rü-cken kann auch entzücken. Das geflügelte Wort gilt in diesem Fall absichtsvoll. Nicht dass Friedrich Hölderlin nicht auch von vorne Bella Figura gemacht hätte. Nach allem, was wir aus den Quellen wissen, war er ein groß gewachsener, attraktiver junger Mann. Doch noch muss sich die Öffentlichkeit damit begnügen, dass der Schleier erst ein wenig gelüftet wird in der renommierten Kunstgießerei Strassacker und sie nur die Rückseite eines Tonmodells zu Gesicht bekommt. In Süßen im Filstal entsteht nämlich derzeit ein Denkmal des weltberühmten Dichters, das im Herbst in der Hölderlin-Stadt Nürtingen aufgestellt werden soll. Dort hat der in Lauffen am Neckar geborene Dichter, dessen Geburtstag sich 2020 zum 250. Mal jährt, seine Kindheit und Jugend verbracht. Und dorthin ist er auch später immer wieder zurückgekehrt. Auch als Schaffensort ragt Nürtingen aus der südwestdeutschen Erinnerungslandschaft hervor. Hier arbeitete Hölderlin nicht nur an seinem Briefroman „Hyperion“, sondern auch an seinem berühmten Gedicht „Hälfte des Lebens“.

Überlebensgroße Skulptur

In Süßen ist man bei der Fertigung der überlebensgroßen Statue schon weit vorangeschritten, wie ein Besuch in den geräumigen Hallen des international tätigen Unternehmens zeigt. Der tönerne Poet blickt schon einmal vielversprechend aus den großen Fenstern der Kunstmanufaktur Richtung Nürtinger Heimat, wo die Skulptur am 8. Oktober feierlich enthüllt werden soll. Das wird allerdings noch nicht am eigentlichen Bestimmungsort der Bronzestatue passieren, die nach den Umbauarbeiten am Nürtinger Hölderlinhaus ihren dauerhaften Standort erhalten soll. Zunächst einmal werden Nürtingen-Besucher und -Bewohner den Bronze-Beau am Steinach-Dreieck am Neckar bewundern können.

Urmodell aus Ton

Initiiert und maßgeblich finanziert wurde das Projekt durch den Rotary Club Kirchheim-Nürtingen, die Konzeption und Begleitung der künstlerischen Realisierung erfolgt von Anfang an in Kooperation mit dem Nürtinger Hölderlin-Verein. Der Präsident der Kirchheimer und Nürtinger Rotarier, Hanns Aberle, der bei der Organisation und Akquise weiterer Sponsoren die Federführung innehat, erklärte in Süßen, der besondere Reiz dieses Projekts liege schon darin, dass es bis heute kein Hölderlin-Denkmal im klassischen Sinne gebe. Der vorläufige Protagonist aus Ton - in der Fachsprache der Skulpteure: das Urmodell - harrt in den Strassacker-Ateliers noch seiner Vollendung. Doch was man sieht, lässt bereits erkennen, dass die Auftraggeber das Werk ganz bewusst in der plastischen Formensprache des 19. Jahrhunderts gestaltet haben wollen. Strassacker-Bildhauer Waldemar Schröder, der Schöpfer des Nürtinger Bronze-Hölderlins, verweist auf das berühmte Doppelstandbild Goethe-Schiller in Weimar. Auch sein Hölderlin hält als Dichter-Insignie eine Papierrolle in der Hand - gute alte Berliner Bildhauerschule also.

In dieser ästhetischen Atmosphäre will Schröder, der seit mehr als einem halben Jahrhundert Plastiken schafft, seine aktuelle Schöpfung künstlerisch verorten. Wobei in diesem Fall nicht nur die Kunst der Rekonstruktion, sondern auch der Imagination und Einfühlung in die Person des Dargestellten wichtig war. Das liegt schlicht an der Tatsache, dass man sich heute vom mutmaßlichen Aussehen des jungen Poeten aus unterschiedlichen literarischen und künstlerischen Quellen sein eigenes Bild erst zusammensetzen muss. Es gibt zwar ein einschlägiges Referenz-Porträt von 1792, das in Marbach aufbewahrt wird. Bei diesem handle es sich freilich um eine geschönte und perspektivisch unsaubere Darstellung des 23-jährigen Hölderlin durch den Maler, Librettisten und Schauspieler Franz Karl Hiemer, gibt Schröder zu bedenken. Die in späteren Jahren entstandenen Scherenschnitte wiederum zeigten eine altersbedingte Nasenabsenkung, die er beim jungen Hölderlin korrigieren musste, erklärt der Bildhauer.

Stattliche Erscheinung

Für ihn sei insbesondere ein Porträt der Schwester Hölderlins hilfreich gewesen bei seiner Arbeit, die ihm zeitweise wie die eines forensischen Anthropologen vorkam. Aus dem Schwester-Bildnis hat der Künstler und Professor wichtige Anregungen für die Gestaltung der Augen und der Mimik bezogen. Dass der echte Friedrich Hölderlin tatsächlich ein stattlicher junger Mann mit kräftigen Schultern war, wie sein Süßener Alter Ego in eleganter Pose demonstriert, kann hingegen als gesichert gelten und wird durch schriftliche Aufzeichnungen bestätigt. Schon seine Studienkollegen, die ihn mit dem jungen Apollo verglichen, beeindruckte der Tübinger Stiftler Hölderlin offenbar mächtig.

Bevor er als Denkmal nach Nürtingen zurückkehrt, muss der tönerne Poet aber erst noch einige Korrekturen und Torturen in der Steingießerei über sich ergehen lassen. Die Silikonbehandlung, die als nächstes ansteht, ist noch die harmloseste Prozedur. Danach muss das Modell noch zweimal durchs Feuer. Erst kommt es als Wachsmodell in den rund 600 Grad heißen Ofen. Dann wird in die getrocknete Schamottform die glühende Bronze gegossen - bei mehr als 1000 Grad.