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Das Stuttgarter Theaterfestival „Schöne Aussicht“ hat mit anspruchsvollen Stoffen 5500 Besucher angelockt.

StuttgartKann man Kindern Stücke über Krieg und Tod zumuten? Man kann, das Theaterfestival „Schöne Aussicht“ in Stuttgart hat es gezeigt. „Was rufen denn die Kinder da?“ Einer der niederländischen Künstler vom Theater Artemis beugt sich zu einer Nebensitzerin im Theater Rampe und fragt das auf Englisch. „Zugabe“ – mehr davon. Offenbar ist „Oorlog/Krieg“ hervorragend angekommen bei den Zuschauern ab sechs Jahren. Das Stück wirkt zunächst wie eine Performance, ein Zimmer voller Gegenstände, Tische, Bälle, Stühle, Bilder. Sie sind an Fäden befestigt, an denen von den Rückwänden des Raumes aus gezogen wird, so dass sich in irren Dominoeffekten eine krachende Verwüstung ergibt. Die drei Darsteller machen zudem die Vermessenheit, in einem Kinderstück den Krieg zu erklären, selbst zum Thema.

Aus einer Krisengegend, aus Israel angereist waren Tänzerinnen und Tänzer der Kibbutz Dance Company 2, Israelis und Palästinenser. Sie zeigten in der Kirche St. Maria in der Tübinger Straße ihr Stück „360 Grad“. Es erzählt von Anziehung und Abstoßung, Liebe, Hass und von der Hoffnung auf Versöhnung. Selbst pubertierende Teenager, die zunächst mit verschränkten Armen dasaßen, ließen sich von der Energie der Künstler mitreißen, tapsten willig mit, als sie zum Mittanzen aufgefordert wurden. Jede Menge Jubel. Während hier die Grundaussage eher positiv war, hatte die südafrikanische Regisseurin von „Mbuzeni/Frag die Götter“ den Mut, ihre Inszenierung mit dem Tod unerklärt und schroff enden zu lassen. Im Saal des Figurentheaters Fitz hatte man zuvor eine Stunde lang vier bestens aufgelegte Schauspielerinnen erlebt, die ihre von Erwachsenen unbeaufsichtigten Tage damit ausfüllten, Beerdigung zu spielen, immer wieder neue Rituale zu erfinden und vom Leben im Himmel zu träumen.

Themen des Festivals, das am Samstag zu Ende ging, waren aber auch Alltagssituationen junger Leute und mediale Erregtheiten. So wie „Zucken“ von Sascha Marianna Salzmann, eine Kooperation vom Jungen Theater Basel und dem Berliner Maxim-Gorki-Theater. Sebastian Nübling hat den Text von Salzmann, Hausautorin des Gorki-Theaters, als ein harsches, oft aggressives Potpourri jugendlicher Suchbewegungen inszeniert, das erst anstrengt, dann an Tiefe gewinnt. Zuletzt leuchtet auf der Wand kein Wort mehr, sondern das Gesicht eines Mädchens. Eine junge Frau, die nicht mehr schauen, sondern handeln will, die in Kurdistan dem Tod ins Auge blickt. Lang zuvor schon sagte eine Stimme: „Die Medien zeigen dir, wie Leben geht.“

Ganz anders Etienne Manceau. Für die französische Kompanie Sacékripa zeigt er in „Vu/Gesehen“ große kleine Kunst, die ganz und gar in sich ruht, mit wenigen Utensilien und ohne Sprache auskommt. In „Zucken“ drängt sich die Welt den Jugendlichen via Smartphone auf, in „Vu“ hat sie Platz auf einem Tischchen, zwischen Teeglas und Kerzenständer. Dieser große Mann mit schwarzem Bart und Brille hat die Aufmerksamkeit des Publikums schon in jenem Augenblick, in dem er den Saal betritt. In seinem Schweigen, seinem Stocken, seiner kuriosen Bestimmtheit liegen die größte Komik und Präsenz.

Zwölf internationale Kompanien und neun Ensembles aus Baden-Württemberg zeigten bei dem Festival an acht Tagen insgesamt 47 Vorstellungen. Die über 400 Künstler kamen aus Frankreich, der Schweiz, Israel, dem Kosovo, Südafrika, Dänemark, Großbritannien sowie aus Belgien und den Niederlanden. Sie lockten 5500 Besucher an, die dem Festival eine Auslastung von 97 Prozent bescherten.

Die nächste „Schöne Aussicht“ findet im Juni 2020 statt.