Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Während der israelische Dirigent Omer Meir Wellber beim Schlussapplaus von der Bühne geht, schwingt sein rechter Arm noch nach im Rhythmus des Finales der Dritten Sinfonie Schuberts. Und im Vorbeilaufen versetzt er einem Becken, das dort noch vom Riesenschlagwerkaufgebot des Vorgängerstücks steht, einen kleinen Kick, als wäre er traurig, dass das Stück schon vorbei ist. Wellber wirkt vom rauschartigen Überschwang des Finales noch ein wenig benommen.

Offenbar braucht das fusionierte SWR Symphonieorchester derzeit einen so unter Hochdruck stehenden Dirigenten, um Höchstleistung zu bringen. In der Schubert-Sinfonie jedenfalls, die das Orchester in seinem Abokonzert im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle spielte, wirkte jede Phrase genau geformt und auf Hochglanz poliert. Trotz beachtlicher Größe des Klangkörpers wirkte alles schlank, leicht, akkurat, ausgeputzt, beweglich: eine ungeheuer elektrisierende Aufführung dieses Werks eines Achtzehnjährigen, das mit den anderen fünf Jugendsinfonien Schuberts lange genug von der Nachwelt, allen voran von Johannes Brahms, als „Vorarbeit“ abgetan worden ist. Dieser Abend aber offenbarte ein Meisterwerk an musikalischen Einfällen, und es war geradezu rührend, mit wie viel Liebe fürs Detail Wellber, Shootingstar unter den jüngeren Dirigenten, etwa im Kopfsatz das schäkernde, punktierte Klarinettenthema in Szene setzen oder dem volksliedhaften Gedanken im Allegretto den roten Teppich ausrollen ließ. Und mitreißend, wie sehr sich in der hart akzentuierten Rhythmik des dritten Satzes Beethoven’sche Energie entfaltete.

Schubert war Teil einer auf krasse Kontraste bauenden Dramaturgie, die mit Debussys „Prélude à l’après-midi d’un Faune“ begonnen hatte. Das SWR Symphonieorchester entfaltete hier eine Klangfarbenmagie, die an die besten Zeiten des alten RSO Stuttgart erinnerte, und Wellber brachte schon mal seine tänzerische Beweglichkeit ins Spiel und seine plastischen Fingerzeige, die manchmal an die Gestik eines Zauberers erinnern. Einen grelleren Kontrast zu solch irisierendem, luzidem Schönklang als Bernd Alois Zimmermanns „Dialoge: Konzert für 2 Klavier und Großes Orchester“ von 1960/65 könnte es wohl kaum geben. Allein zwölf Perkussionisten inklusive Pauker positionierten sich auf der völlig überfüllten Bühne. Dazu zwei Steinways und auch noch die beiden Kameraleute für den Internet-Live-Video-Stream des SWR. „Dialoge“ ist ein düsteres Werk. Aus Schlagwerk-Wolken schlängeln erste Motivketten hervor, münden in unheilverkündende Klangflächen. Eruptives, Gewalttätiges, schrille Instrumentenschreie wechselten mit Meditativem, und ins Orchestergeschehen flocht sich das Gegen- und Miteinander des konzentriert und souverän agierenden Pianistinnenduos Bugallo-Williams ein. Collageartig scheinen in diesem Werk immer wieder Klanggestalten aus fernen Zeiten auf, Zitate wie der alte Pfingst-Hymnus „Veni creator spiritus“ oder Mozarts spätes C-Dur Klavierkonzert, aber auch neuere wie Debussys „Jeux“, das nach der Pause dann selbst zur Aufführung kam. Eine Dramaturgie, die beim Publikum zündete und am Ende euphorisch bejubelt wurde.