Musikalisches Feuerwerk mit einem hochexplosiven Klanggemisch: A Day to Remember in der Stuttgarter Schleyer-Halle. Foto: Mike Kunz Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Fast auf den Tag genau vor sechs Jahren, im Februar 2011, gastierten A Day to Remember noch im Club LKA-Longhorn. Nunmehr bringt die US-amerikanische Band die Stuttgarter Schleyer-Halle an den Rand des Wahnsinns. 5000 Fans kochen vor Begeisterung und verfallen der Härte und Hartnäckigkeit der Formation aus dem Sunshine State Florida. A Day to Remember, kurz ADtR, gehören mittlerweile zu den großen Genre-Mischern. Sie haben mehr oder minder den Metalcore und Punk-Rock miteinander verheiratet, auch bekannt unter dem Genre-Namen Easycore. Ein bisschen Post-Hardcore hier, eine Prise Heavy Metal dort. Ein bisschen temporeichen, kantigen Beat hier, eine Portion Melodik-Pop dort, fertig ist ein hochexplosives Gemisch.

Von wegen „Bad Vibrations“, wie das Quintett sein aktuellstes Werk betitelte. Schon beim mit Konfetti überschütteten Auftaktsong „Mr. Highway’s Thinking of the End“, einem dämonischen Pop-Punk-Bulldozer aus ihrem Album „Homesick“ (2009), gehen ADtR in die Vollen, heizen den jungen Fans - die Zahl der über 30-Jährigen ist überschaubar - gewaltig ein, vermengen die Brachialgewalt eines mephistophelischen Hardcore mit Breakdowns und den Harmonien des Pop-Punk. Die Show ist professionell, der Raum vor der Bühne in eine riesige Hüpfarena verwandelt. Wer sich in den Circle Pits blaue Flecken holt, der tut das mit einem Grinsen im Gesicht.

Mit dem intensiven „Paranoia“ vom neuen Album, das wieder rauer und düsterer ist als die Vorgänger, steigen ADtR vollends ein und brettern unaufhaltsam durch ihr rasantes Set. Wer das hört und sieht, für den ist es nicht mehr erstaunlich, warum die Band vor allem bei Jüngeren so erfolgreich ist. Und weil ADtR ihren Anhängern dann noch unaufdringlich poppige Melodien als zusätzliche Richtungsweiser bietet, wirken auch die Breakdowns plötzlich gar nicht mehr so heftig. So entsteht kommerzielle Attraktivität.

Der 2003 gegründeten Gruppe um Sänger Jeremy McKinnon, Rhythmusgitarrist Neil Westfall, Leadgitarrist Kevin Skaff, Schlagzeuger Alex Skelnutt und Bassist Joshua Woodard allerdings Kalkül vorzuwerfen, wäre falsch. In der Schleyer-Halle spürt man, dass hier Musiker schlicht das machen, worauf sie Lust haben. Auch in Stuttgart liefern sie mächtig und unnachgiebig ab, ohne Aussetzer. Wo andere mit massentauglichen Stilbrüchen liebäugeln, verändern ADtR ihre Crossover-Masche kaum. „I’m made of Wax, Larry. . .“ ist eine kraftstrotzende Punk-Hardcore-Rock-Nummer, „It’s complicated“ eine formidable Hymne. „We got this“ klingt geradezu radiotauglich und „Naivety“ kommt als verkappter Highschool-Partykracher daher. Solchen für ihre Verhältnisse geradezu freundlich-zuckrigen Stücken stellt die Band Metalcore-Hits wie das vor Wut schnaubende „Exposed“ oder geradlinige Rocker wie „Justified“ gegenüber. Das biestige „Bad Vibrations“ mit seinen zerstörerischen Gitarren, einem grummelnden Bass und einem Stahlwerk-Schlagzeug gleicht gar einer Vernichtung. Kompromissloser geht das pathetische Martyrium kaum. Die Wurzeln des Punk und Hardcore werden fleißig mit Nährstoffen wie mit Drohgebärden versorgt. Es ist ein steter Kampf der Elemente. Dieser musikalische Klang unterscheidet sie von anderen Genre-Bands. Kaum einen Unterschied zu anderen Formationen macht McKinnon (31) bei seinen Ausdrucksweisen, die zur Hälfte im Kontrast zu seinem blütenweißen T-Shirt stehen. Sein gutturaler Gesang mischt martialisches Gebrüll mit klaren, teilweise fast clean gesungenen Refrains. Einerseits grüßen seine Growls wie bei der Krawallnummer „2nd Sucks“ wie direkt vom Höllenschlund ausgespuckt. Das klingt richtig bedrohlich. Mit zunehmender Konzertdauer kristallisieren sich jedoch melodische Umarmungen heraus, die in „Homesick“ einen wunderschönen Sing-along-Part haben und in dem balladesk-bittersüßen „Have Faith in me“ gipfeln.

Vom 2013 veröffentlichten Album „Common Courtesy“, das sich zielstrebig in den internationalen Hitparaden platzierte, spielen ADtR nur einen einzigen Song. Allerdings ist „Right back at it again“ ein melodischer Punk-Rock-Banger erster Güteklasse. Die Gemüter der Fans sind umgehend einen Ton höher gestimmt. Überhaupt frisst die Meute dem gut gelaunten Einpeitscher McKinnon aus der Hand. Ob Crowdsurfing, Springen oder Smartphone-Erleuchtung: sein Wort ist den Fans Befehl. Er dankt es ihnen mit orangenen Strandbällen, aufblasbaren Haien, fliegenden Klopapierrollen und T-Shirts. ADtR wollen doch nur spielen. Und das vor zwei großen LED-Monitorwänden, auf denen Animationen, Videos oder Livemomente der Show flimmern.

Schon nach 60 Minuten und 16 Titeln ist geradezu dreist Schluss. Den Zugabenteil läuten allein McKinn on und Leadgitarrist Skaff ein, mit dem rührenden Stück „If it means a lot to you“, begleitet nur auf Akustik-Gitarren. Das romantische Lied ist Publikumsliebling und Konzerthöhepunkt. Der Abend endet obligatorisch mit „The Downfall of us all“, dem ersten Hit der Band. Buntes Konfetti regnet auf einen gewaltigen Moshpit herab, der Kreis schließt sich.

Die Faszination dieses kurzen, aber heftigen Konzerts verbirgt sich im Wechselbad der Gefühle. Der Bandname ist jedenfalls Programm. Es war ein denkwürdiger Abend.